BGH-Urteil: WLAN-Betreiber muss Täter vorgerichtlich nicht nennen

Filesharing, sekundäre Darlegungslast und vorgerichtliche Auskunftspflicht des Anschlussinhabers – der Bundesgerichtshof (BGH) entscheid mit Urteil vom 17.12.2020, Az. I ZR 228/19 „Saints Row“: Der abgemahnte Anschlussinhaber ist nicht dazu verpflichtet, dem Rechtsinhaber vorgerichtlich den ihm bekannten Täter der Urheberrechtsverletzung zu benennen.

Sachverhalt: Worum geht es?

Es geht um Filesharing. Es geht um das Computerspiel „Saints Row 3“, an dem die Klägerin das ausschließliche Nutzungsrecht innehat.

_ Abmahnung und vorgerichtliche Korrespondenz

Am 05.11.2013 wurde „Saints Row 3“ über das WLAN des Beklagten in einer Filesharing-Tauschbörse öffentlich zum Herunterladen angeboten. Das WLAN versorgte die beiden Hälften eines Doppelhauses. Die eine Hälfte bewohnte der Beklagte mit seiner Tochter. Die andere Hälfte bewohnte die Lebensgefährtin des Beklagten mit ihrem Sohn. Zum maßgeblichen Zeitpunkt hatte die Lebensgefährtin des Beklagten vorübergehend eine Arbeitskollegin mit deren beiden Söhnen bei sich aufgenommen. Auch diese Personen durften den Internetanschluss des Beklagten benutzen.

Die Klägerin, vertreten durch die Kanzlei RKA Rechtsanwälte, ließ den Anschlussinhaber und späteren Beklagten mit Schreiben vom 13.03.2014 abmahnen. Dieser gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Er teilte aber gleichzeitig mit, er selbst habe das Spiel nicht öffentlich im Internet zugänglich gemacht. Weitere Hinweise auf den Täter der Urheberrechtsverletzung gab er zu diesem Zeitpunkt nicht. Dabei hatte er bereits in Erfahrung gebracht, dass der ältere Sohn der Arbeitskollegin seiner Lebensgefährtin die Urheberrechtsverletzung begangen hatte.

_ Mahnbescheid und Gerichtsverfahren

Am 15.12.2017 beantragte die Klägerin den Erlass eines Mahnbescheids auf Zahlung der Abmahnkosten von 984,50 € und eines „Teilschadensersatzes“ von 900 €, jeweils zuzüglich Zinsen. Hiergegen legte der Anschlussinhaber Widerspruch ein.

In seiner Klageerwiderung im nachfolgenden streitigen Verfahren vor dem Amtsgericht Landshut legte der Beklagte die Identität des ermittelten Täters offen. Danach stellte die Klägerin ihre Klage um. Die Klägerin beantragte nun, dass der Beklagte nicht mehr wegen eigener Täterschaft, sondern wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung der Klägerin durch bewusstes Verschweigen der Identität des ihm bekannten Täters in Anspruch genommen wird. Hilfsweise beantragt die Klägerin festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die durch seine gerichtliche Inanspruchnahme im Streitfall entstandenen Kosten zu erstatten.

Bereits vor dem Amtsgericht Landshut – Endurteil vom. 25.01.2019, Az. 10 C 985/18 – blieb die Klägerin erfolglos. Auch die Berufung der Klägerin zum Landgericht München I (Az: 21 S 2205/19) blieb erfolglos. Die Klägerin versuchte ihr Glück beim BGH.

Ergebnis: Wie entschied der Bundesgerichtshof?

Der Bundesgerichtshof wies die Revision der Klägerin zurück. Die auf Feststellung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs gerichtete Klage sei unbegründet.

Der beklagte Anschlussinhaber sei nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin bereits vorgerichtlich mitzuteilen, wer der Täter der Urheberrechtsverletzung war, wer also Filesharing betrieben hatte:

„Der Klägerin steht kein Anspruch nach § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz ihrer Rechtsverfolgungskosten zu, weil der Beklagte vorgerichtlich nicht verpflichtet war, der Klägerin den ihm bekannten Täter der streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzung zu benennen. Eine dahingehende Aufklärungspflicht des Beklagten ergibt sich weder aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Unterlassungsvertrag […] noch aus Verschulden bei Vertragsschluss […]. Zwischen den Parteien des Rechtsstreits besteht auch keine andere gesetzliche Sonderverbindung, die Grundlage für eine Aufklärungspflicht des Beklagten sein könnte […]. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist gleichfalls ausgeschlossen, weil das Verhalten des Beklagten keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klägerin darstellt […]. Das Unionsrecht erfordert die Anerkennung einer gesetzlichen Sonderverbindung zwischen dem Rechtsinhaber und dem Anschlussinhaber nicht […].“

Die nachfolgenden Erwägungen in der Urteilsbegründung setzen sich ausführlich mit den verschiedenen Anspruchsgrundlagen auseinander, aus denen die Klägerin eine vorgerichtliche Pflicht des Anschlussinhabers herleiten wollte, den Namen des Täters mitzuteilen. Die Kernaussagen daraus:

_ Keine Aufklärungspflicht aus Unterlassungsvertrag

Die Unterlassungserklärung des Beklagten begründe für ihn keine Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB, den wahren Täter zu benennen:

„Ihr (der Unterlassungserklärung; Anm. RA Loebisch) kann insbesondere kein Anerkenntnis eines gesetzlichen Unterlassungsanspruchs und einer Pflicht zur Übernahme der Abmahnkosten entnommen werden, sofern der Abgemahnte den Anspruch auf Zahlung der Abmahnkosten nicht förmlich anerkennt oder sonst ausdrücklich zu erkennen gibt, dass der Abmahnende den Vorwurf zu Recht erhoben hat (vgl. BGH, GRUR 2013, 1252 Rn. 10 – Medizinische Fußpflege).“

Da der anwaltlich beratene Beklagte keine Angaben zum Täter der Urheberrechtsverletzung machte, sei die Annahme, er habe mit der Abgabe seiner Unterlassungserklärung keine weitergehenden Pflichten eingehen wollen als zur Vermeidung einer Unterlassungsklage erforderlich, nicht zu beanstanden.

_ Kein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss

Ein Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) komme ebenfalls nicht in Betracht:

„Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Versendung einer unberechtigten Abmahnung für sich genommen noch keine vorvertragliche Beziehung im Sinne des § 311 Abs. 2 BGB begründet.“

_ Keine Aufklärungspflicht aus Sonderverbindung

„Eine Sonderverbindung entsteht nicht schon durch das Betreiben eines von mehreren Personen genutzten WLAN-Anschlusses, von dem aus Urheberrechtsverletzungen begangen werden, solange der Anschlussinhaber nicht als Störer haftet. Beziehungen rein tatsächlicher Art genügen grundsätzlich nicht, um daran auf der Grundlage des § 241 Abs. 2 BGB Aufklärungspflichten zu knüpfen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2019 – XII ZR 13/19, NJW 2020, 755 Rn. 30 mwN; zu den möglichen Ausnahmefällen vgl. Staudinger/Olzen, BGB [2019], § 241 Rn. 401; Krebs in Dauner-Lieb/Langen aaO § 241 Rn. 32 bis 43).“

Im Streitfall fehle es an einer Verantwortlichkeit des Beklagten. Dieser hafte weder als Täter noch als Teilnehmer oder Störer.

Auch die Grundsätze der sekundären Darlegungslast im Filesharing-Prozess rechtfertigten keine abweichende Beurteilung.

_ Keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung

Eine Haftung des zu Unrecht abgemahnten Anschlussinhabers erscheine zwar nicht generell ausgeschlossen. Sie werde jedoch nicht allein durch die unterbliebene Nennung des wahren Täters vor der gerichtlichen Inanspruchnahme begründet:

„Soweit die Revision meint, für den Beklagten sei ohne weiteres erkennbar gewesen, dass ein erhebliches Risiko bestanden habe, die Klägerin werde die von ihr verschiedentlich angedrohte Klage erheben, weiter sei absehbar gewesen, dass diese Klage abzuweisen sein würde, lässt dies keinen Schluss auf einen Willen des Beklagten zur Schädigung der Klägerin zu.“

_ Keine gesetzliche Sonderverbindung aus Unionsrecht

Auch aus den einschlägigen Richtlinien der Europäischen Union zum Urheberrecht und zum geistigen Eigentum ergebe sich keine Verpflichtung des Anschlussinhabers, nach einer Abmahnung bereits vorgerichtlich den Täter zu identifizieren:

„Entgegen der Ansicht der Revision verlangt das Unionsrecht nicht die Anerkennung einer gesetzlichen Sonderverbindung, die unter Berücksichtigung von Treu und Glauben dem Anschlussinhaber nach Abmahnung eine vorprozessuale Aufklärungspflicht zur Benennung der weiteren Anschlussnutzer oder des wahren Täters auferlegt. Den unionsrechtlichen Anforderungen wird durch die dem Anschlussinhaber im Prozess im Rahmen der sekundären Darlegungslast auferlegte Erklärungspflicht genügt, bei deren Nichterfüllung er als Täter gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO).“

Und weiter:

„Der Unionsgesetzgeber hat […] bewusst von einer generellen Auskunftspflicht privater WLAN-Betreiber abgesehen und damit auch insoweit die mit jeder Rechtsdurchsetzung verbundenen Risiken und Kosten für die Rechtsinhaber in Kauf genommen.“

Auswirkung auf die Praxis

Die angebliche Pflicht abgemahnter Anschlussinhaber:innen, bereits vorgerichtlich „Ross und Reiter“ zu nennen und mitzuteilen, wer den Rechtsverstoß begangen hat, ist regelmäßiger Bestandteil der Abmahnkorrespondenz. Mal wird diese angebliche Pflicht dezent vorgetragen von Abmahnkanzleien. Mal wird sie plump behauptet von zweifelhaften Inkassounternehmen, die versuchen, aus irgendwelchen längst zombifizierten Uralt-Abmahnungen den letzten Euro herauszuschinden.

Das Filesharing-Urteil „Saints Row 3“ des Bundesgerichtshofs beinhaltet in der Sache nichts wirklich Neues. Der Bundesgerichtshof begründet nur ausführlich, was schon wiederholt in manchem Nebensatz früherer Urteilsbegründungen steht – dass die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers erst Teil des Filesharing-Gerichtsverfahrens ist, aber noch nicht Teil der vorgerichtlichen Abmahnkorrespondenz.

 

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