BGH-Urteil: Darlegungslast und Zeugnisverweigerungsrecht bei Filesharing

Familienanschluss und Zeugnisverweigerungsrecht im Filesharing-Prozess – der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil vom 27.07.2017, Az. I ZR 68/16: Der beklagte Anschlussinhaber erfüllt seine sekundäre Darlegungslast, wenn er vorträgt, seine Ehefrau befragt zu haben und die im Haushalt vorhandenen Computer ergebnislos nach der Datei, derentwegen die Abmahnung erfolgte – hier: ein Computerspiel – durchsucht zu haben.

Computerspiel und Filesharing – was war geschehen?

Die Klägerin macht geltend, Inhaberin der ausschließlichen Verwertungsrechte an einem Computerspiel zu sein. Sie behauptet, dieses Spiel sei über den Internetanschluss dem Beklagten am 4. und 5. Mai 2011 in einer P2P-Tauschbörse im Internet zum Herunterladen angeboten worden.

Die Klägerin mahnte den Beklagten deswegen mit Schreiben vom 30. Juni 2011 vorgerichtlich ab. Mit ihrer Klage machte sie den Ersatz der Abmahnkosten und Lizenz-Schadensersatz geltend.

Der Beklagte bestritt seine Täterschaft. Er gab weiter an, auch seine Ehefrau habe den mittels eines passwortgeschützten WPA2-Routers betriebenen Internetanschluss täglich benutzt. Er habe seine Ehefrau befragt. Sie habe mitgeteilt, die beanstandeten Handlungen nicht begangen zu haben. Auf den im Haushalt vorhandenen Computern habe sich das Computerspiel nicht befunden.

Sowohl erstinstanzlich vor dem Amtsgericht Bochum – Urteil vom 28.05.2015, Az. 40 C 21/15 – wie auch in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Bochum – Urteil vom 19.02.2016, Az. 5 S 81/15 – blieb die Klägerin erfolglos.

Wie entschied der BGH?

Auch der BGH entschied zugunsten des beklagten Anschlussinhabers. Der Beklagte sei seiner sekundären Darlegungslast als Anschlussinhaber nachgekommen.

Gegen den beklagten Anschlussinhaber spreche zunächst eine tatsächliche Vermutung der Täterschaft. Diese tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers komme auch dann in Betracht, wenn der Internetanschluss – wie bei einem Familienanschluss – regelmäßig von mehreren Personen genutzt werde.

Der Beklagte habe aber die tatsächliche Vermutung der Täterschaft entkräftet, weil er nicht nur die theoretische Möglichkeit aufgezeigt habe, dass seine Ehefrau die Urheberrechtsverletzungen begangen haben könnte:

„Vielmehr hat der Beklagte ausweislich der […] im Tatbestand des Berufungsurteils niedergelegten Feststellungen zum streitigen Beklagtenvortrag erster Instanz behauptet, seine Ehefrau befragt zu haben, die die Vornahme der beanstandeten Handlungen in Abrede gestellt habe. Der Beklagte hat danach ferner darauf verwiesen, die im Haushalt vorhandenen Computer ergebnislos nach dem Computerspiel durchsucht zu haben.“

Dieser Tatsachenvortrag des Beklagten habe angesichts des zeitlichen Abstandes zwischen Rechtsverstoß und Abmahnung inhaltlich ausgereicht:

„Dass der Beklagte keinen näheren Vortrag dazu gehalten hat, was seine Ehefrau zu den behaupteten Tatzeitpunkten getan hat, wirkt sich angesichts des bis zur Abmahnung verstrichenen Zeitraums von fast zwei Monaten nicht zu seinem Nachteil aus. Dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses ist nicht abzuverlangen, zur Abwendung seiner täterschaftlichen Haftung die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen (vgl. BGH, GRUR 2017, 386 Rn. 26 – Afterlife).“

Auch der Umstand, dass sich die Ehefrau des Beklagten auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO berufen und keine Angabe zur Sache gemacht habe, wirke sich nicht zum Nachteil des Beklagen aus:

„Aus der Verweigerung des Zeugnisses gemäß § 383 ZPO dürfen, da die Entscheidung über die Zeugnisverweigerung allein dem Zeugen obliegt, im Rahmen der Beweiswürdigung keine Schlussfolgerungen zum Nachteil einer Partei gezogen werden (vgl. [zu § 52 StPO] BGH, Urteil vom 12. Juli 1979 – 4 StR 291/79, NJW 1980, 794; MünchKomm. ZPO/Damrau, 5. Aufl., § 383 Rn. 21; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 383 Rn. 10). Selbst wenn man wie für die Fälle des § 384 Nr. 1 bis 3 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1993 – II ZR 255/92, NJW 1994, 197; MünchKomm. ZPO/Damrau aaO § 384 Rn. 4 aE) – ausnahmsweise eine nachteilige Beweiswürdigung für zulässig hielte, wenn besondere, konkret festgestellte Indizien dies rechtfertigen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 383 Rn. 7), führte dies im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis. Das Berufungsgericht hat, ohne dass die Revision dies in Zweifel zieht, festgestellt, dass solche anderweitigen Indizien, die die Annahme einer Täterschaft des Beklagten nahelegten, nicht bestehen. Auch von einer Beweisvereitelung des Beklagten ist nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auszugehen.“

Der beklagte Anschlussinhaber hafte weder als Täter noch als Störer.

Welche Auswirkung hat das BGH-Urteil auf die Praxis der Filesharing-Rechtsverteidigung?

Das BGH-Urteil ist in zweierlei Hinsicht von Interesse:

  • Wie detailliert der beklagte Anschlussinhaber vortragen muss, damit er seine sekundäre Darlegungslast erfüllt, hängt auch von zeitlichen Abstand zwischen dem Rechtsverstoß und der Abmahnung ab. Lassen sich der abmahnende Rechteinhaber und die Abmahnkanzlei Zeit mit der Abmahnung, so verringern sich hierdurch die Anforderungen an den Anschlussinhaber.
  • Berechtigten Zeugnisverweigerung eines Familienmitgliedes wirkt sich im Regelfall nicht zum Nachteil des beklagten Anschlussinhabers aus, wenn er im übrigen seine sekundäre Darlegungslast erfüllt hat.

Aus der Sicht des Anschlussinhabersist die sekundäre Darlegungslast in der Praxis Dreh- und Angelpunkt der weiteren Rechtsverteidigung. Das gilt vorgerichtlich, zunächst also aus der Sicht des Abmahnungsempfängers, das gilt erst recht vor Gericht aus der Sicht der beklagten Partei. Hier genügt es nicht, pauschal jede eigene Täterschaft abzustreiten, und vielleicht noch auf weitere Personen zu verweisen, die ebenfalls als Täter in Betracht kommen. Erforderlich sind vielmehr Angaben zu den Details – „Butter bei die Fische“: Welche anderen Personen waren zu dem im Abmahnschreiben angegebene Zeitpunkt anwesend? Mit welcher Hardware – „Familiencomputer“ oder eigenes Gerät – ging welche Person online? Welche Umstände sprechen dafür, dass eine dieser Personen – und nicht der Anschlussinhaber selbst – den Rechtsverstoß begangen haben könnte? Welche Computer überprüfte der Anschlussinhaber nach Erhalt der Abmahnung und was kam dabei heraus? War auf einem Gerät ein Filesharing-Client installiert oder gar die abgemahnte Datei gespeichert?

Die sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers steht dabei unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit. Was dem Anschlussinhaber zumutbar ist und was ihm nicht mehr zugemutet werden kann, wie umfangreich und wie detailliert seine Darstellungen sein müssen, mit denen er sich gegen die Filesharing-Klage verteidigt, hängt auch davon ab, ob die Abmahnung sofort nach dem behaupteten Rechtsverstoß im Briefkasten lag oder ob seither Zeit ins Land gegangen war.

Das BGH-Urteil vom 27.07.2017 ist nicht weltbewegend, aber trotzdem ein kleiner Schritt hin zu mehr Waffengleichheit im Filesharing-Prozess.

 

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