Urteil: Schmerzensgeld bei Cyber-Mobbing unter Schülern

Unterlassungsanspruch und Schmerzensgeld bei Cyber-Mobbing unter 12-jährigen Kindern auf Facebook – das Landgericht Memmingen entschied mit Urteil vom 03.02.2015, Az. 21 O 1761/13: Betreibt ein 12-jähriger Schüler als Täter gegen einen gleichaltrigen Mitschüler eine Cybermobbing-Kampagne unter anderem über ein gefälschtes Facebook-Profil, das scheinbar das Opfer als Profil-Ersteller ausweist, und äußert der Täter über sein Opfer unter anderem, dieser habe homosexuelle Orientierungen und vergewaltige kleine Kinder, so steht dem Tatopfer gegen den Täter ein Schmerzensgeldanspruch von 1.500 € zu.

Was war geschehen?

Beide Parteien sind im Jahr 2001 geboren und waren im Tatzeitraum Schüler derselben 6. Klasse eines Gymnasiums. Nach den Feststellungen des Gerichts startete der damals 12-jährige spätere Beklagte im August gegen den ebenfalls 12-jährigen späteren Kläger über Facebook eine Cybermobbing-Kampagne. Hierzu, so die Feststellungen des Gerichts, richtete der beklagte Schüler unter dem Namen seines Mitschülers und mit dem Foto seines Mitschülers ein Facebook-Profil ein, das in Bezug auf den späteren Kläger die Bezeichnung „Fat-Opfer“ enthielt.

Dort, so die Feststellungen des Gerichts, äußerte der Beklagte in Bezug auf den Kläger unter anderem, dieser habe einen „Idiotenkindergarten“ besucht, habe dort Dummheit studiert, habe irgendwelche homosexuelle Orientierungen, vergewaltige kleine Kinder, wiege 100 Tonnen und zeige seine Exkremente auf Facebook.
Weiter, so die Feststellungen des Gerichts, sandte der Beklagte an den Kläger über den Account eines Mädchennamens beleidigende E-Mails, in denen er äußerte, der Kläger sei ein „Wixxer“, ein „fetter Zwidder“ und ein „Fettsack ohne Geschlechtsteil“ und in denen er den Kläger aufforderte „kill dich selber und am besten heute noch!“.

Der Kläger musste deshalb sogar stationär durchgeführter psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen.

Der durch seine Eltern gesetzlich vertretene Beklagte lehnte eine Unterlassungserklärung ab.

Wie entschied das Gericht zum Cyber-Mobbing unter 12-jährigen?

Das Landgericht Memmingen verurteilte den im Tatzeitraum 12-jährigen Beklagten zur Unterlassung und zu einem Schmerzensgeld von 1.500 €.

Die Zivilkammer befand hierzu, der Beklagte sei im Tatzeitraum nach § 823 Abs. 3 BGB deliktsfähig gewesen:

„Der Beklagte war damals etwa 12 1/2 Jahre alt, hat mit dem Gymnasium eine herausgehobene Schule besucht und war zudem durch die vom Zeugen A… bestätigten Unterrichts- und Besprechungsthemen über das Thema „Cyber-Mobbing“ informiert und sensibilisiert worden.
Die Kammer ist der Überzeugung – auch aufgrund des Auftretens des Beklagten in der Verhandlung -, dass der Beklagte bereits im August 2013 nach seiner individuellen Verstandesentwicklung die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht ebenso hatte wie die intellektuelle Fähigkeit, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen und sich auch den Folgen seines Verhaltens bewusst zu sein (…).“

Weiter setzte sich die Zivilkammer mit der Frage auseinander, wie die Äußerungen des Beklagten und die hierdurch verursachte Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers unter Berücksichtigung des Alters der beiden Parteien zu bewerten sind:

„Die Kammer ist sich durchaus bewusst, dass Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes unter Kindern nicht uneingeschränkt nach den für Volljährigen geltenden Maßstäben beurteilt werden können. Denn unter Kindern sind der Gebrauch von Schimpfwörtern oder von Formulierungen, die strafrechtlich als Beleidigungen einzuordnen sind, oft üblich. Sie sind in gewissem Umfang Teil einer jugendtümlichen Sprache und geprägt auch von einem noch kindlichen bzw. jugendtypischen Verhalten, in dem sich häufig eine gewisse Sorglosigkeit der Äußerung offenbart. Schließlich wird Kindern auch die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts und die mit seiner Verletzung verbundenen Gefahren noch nicht in dem Umfang bewusst sein, wie man das bei einem Erwachsenen erwarten kann.
Auf der anderen Seite weiß zur Überzeugung der Kammer aber ein immerhin bereits deliktsfähiges Kind durchaus, dass ein Schimpfwort eine Herabsetzung des anderen Kindes bedeutet, dass damit eine Abwertung seiner Person verbunden und auch gewollt ist, und es weiß auch, dass die Nachhaltigkeit einer solchen Herabsetzung durch ihre Einstellung in das Internet und den ‚öffentlichen Pranger‘ massiv verstärkt werden kann, obwohl genau diese Verstärkung unrechtmäßig ist.“

Das Verhalten des Beklagten habe sich nicht auf – im Regelfall vereinzelte – Kind- und jugendtypische Äußerungen gegenüber dem Betroffenen oder vielleicht in einer kleinen Gruppe beschränkt:

„Der erste entscheidende Unterschied liegt vielmehr darin, dass die entsprechenden Äußerungen über ein Internetportal gemacht wurden und damit einem breiten Nutzerkreis im Prinzip dauerhaft zugänglich sind. Dies verstärkt die Wirkung entsprechender Äußerungen gegenüber einer nur mündlichen und damit in der Wirkung flüchtigen Außerung ganz massiv.
Als zweiter Unterschied kommt hinzu, dass in den Äußerungen auch Beleidigungen und Behauptungen enthalten waren, die den Kläger im Kern seiner Persönlichkeit treffen und verletzen und deshalb so nach Auffassung der Kammer auch dann nicht hingenommen werden müssen, wenn sie von einem anderen – deliktsfähigem – Kind gemacht worden sind. Es geht nicht an, einen Mitschüler, der bereits erkennbar (vorangegangene Attacken) unter seinem stärkeren Körpergewicht leiden musste, im Internet als ‚Fat-Opfer‘ darzustellen, es geht erst recht nicht an, einem 12 Jahre alten Buben zu unterstellen, er vergewaltige kleine Kinder – dies stellt den Vorwurf eines ganz massiv strafrechtlichen Verhaltens dar – und das Ganze auch noch mit einem Bild spielender Kinder (im Sandkasten) zu unterlegen, das nach Auffassung der Kammer durchaus auch sexualbezogen gedeutet werden kann, es geht auch nicht an, die vermeintlichen Exkremente eines anderen Kindes abzubilden und dieses Kind als ‚Wixxer‘ und ‚fetten Zwidder‘ zu bezeichnen, und es geht erstrecht nicht an, diesem Kind das Lebensrecht mit der Formulierung abzusprechen, ‚es solle sich selbst und am besten gleich umbringen‘. Hier handelt es sich vielmehr um Kernbereiche der Persönlichkeit, deren umfassender Schutz Aufgabe staatlicher Schutzgewährung ist.
Hinzu kommt schließlich noch, dass solche Äußerungen nicht nur eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes darstellen, sondern dass sie durch die Verfälschung des Internetaccounts auch noch mit nicht unerheblicher krimineller Energie unter Verwendung eines unberechtigt benutzten Bildes erstellt worden sind. Auch dies muss ein anderes Kind als Verhalten eines Gleichaltrigen nicht hinnehmen.“

Dies alles rechtfertige es, in dem Gesamtverhalten des Beklagten eine massive Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers zu sehen.

In der Folge gestand die Zivilkammer dem Kläger nicht nur einen Unterlassungsanspruch gegen seinen gleichaltrigen Mitschüler zu, sondern auch einen Schmerzensgeldanspruch.

Welche Auswirkung hat das Urteil zum Cyber-Mobbing unter Kindern auf die Praxis?

Verstoßen Kinder im Internet gegen geltendes Recht, sei es, dass sie gegen Urheberrecht verstoßen, sei es, dass sie Cybermobbing-Kampagnen betreiben oder sich an einer solchen Cybermobbing-Kampagne beteiligen, wird häufig übersehen, dass eine fehlende Strafmündigkeit nicht automatisch auch die zivilrechtliche Verantwortlichkeit ausschließt. Ein Kind, das noch nicht strafmündig ist, kann also durchaus bereits verpflichtet sein, dem Opfer Schadensersatz oder Schmerzensgeld zu zahlen.

Strafmündig sind Kinder zwar nach § 19 StGB erst ab ihrem 14. Geburtstag.

Die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit, also die Verpflichtung, Schadensersatz zu leisten und Schmerzensgeld zu zahlen, hängt aber von der Strafmündigkeit nicht ab. Nach § 828 Abs. 1 BGB sind Kinder nur bis zu ihrem 7. Geburtstag für die von ihnen verursachten Schäden überhaupt nicht verantwortlich.

Dann aber haften Kinder nach § 828 Abs. 3 BGB grundsätzlich selbst, können also zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt werden, wenn sie bei der Tat die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben. Ob ein Kind diese Einsichtsfähigkeit hatte oder nicht, ist jeweils Frage des Einzelfalles. Hier spielt mit eine Rolle, welche Betätigung, welches Verhalten allgemeinüblich und altersadäquat ist und was nicht.

Eine generelle Ausnahme sieht lediglich § 828 Abs. 2 BGB für Kinder vor, die das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet haben – diese Kinder sind für den Schaden, den sie bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügen, nicht verantwortlich, solange sie diese Verletzung vorsätzlich herbeigeführt haben.

Der Umgang mit Social-Media-Anwendungen ist für Kinder mittlerweile selbstverständlich. Damit sind auch die Dos und Don’ts auf sozialen Plattformen, das Wissen, was erlaubt ist und was nicht, in dieser Altersgruppe Allgemeinwissen. Erst recht gilt dies, wenn wie hier die Dos und Don’ts auf sozialen Plattformen bereits im Schulunterricht behandelt wurden.