Urteil: Drei Jahre Negativeintrag trotz Restschuldbefreiung

Negativeintrag trotz Restschuldbefreiung – das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied mit Urteil vom 01.03.2016, Az. 12 U 32/16: Eine Wirtschaftsauskunftei ist berechtigt, die Restschuldbefreiung nach einer Privatinsolvenz als Negativmerkmal für drei Jahre zu speichern, ohne dass der ehemalige Insolvenzschuldner hiergegen überwiegende Interessen geltend machen kann.

Negativeintrag trotz Restschuldbefreiung – was war geschehen?

Die Beklagte betreibt eine Wirtschaftsauskunftei. Sie speichert und übermittelt gewerbsmäßig personenbezogene Daten zum Zweck der Kreditauskunft. Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er eine Immobilie errichten will.

Über das Vermögen des Klägers wurde das Privatinsolvenzverfahren durchgeführt. Nach erfolgreichem Ablauf der Wohlverhaltensphase am 11.12.2012 erteilte ihm das Amtsgericht Bochum mit Beschluss vom 25.02.2013 die Restschuldbefreiung. Diese Entscheidung über die Restschuldbefreiung wurde nach den Vorschriften der Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet (InsIntBekV) öffentlich bekannt gemacht und von der Beklagten daraufhin gespeichert. Der Kläger begehrt die Löschung, hilfsweise Sperrung, dieses Eintrags. Bei anderen Auskunfteien konnte der Kläger eine Löschung gleichlautender Eintragungen zum 31.12.2015 erreichen. Die Beklagte dagegen war hierzu nicht bereit.

Bereits erstinstanzlich vor dem Landgericht Baden-Baden vertrat der Kläger die Auffassung, die Beklagte sei zur Löschung verpflichtet. Die Verfahrensweise der Beklagten, die Daten nach § 35 Abs. 2 Nr. 4 BDSG erst am Ende des dritten Kalenderjahres, beginnend mit dem Kalenderjahr nach der erstmaligen Speicherung, zu löschen, stehe in Widerspruch zum speziellen Regelungsregime der InsIntBekV. Danach seien öffentlich zugängliche Informationen wie die Restschuldbefreiung spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der diesbezüglichen Entscheidung zu löschen.

Das Landgericht Baden-Baden wies die Klage mit Urteil vom 13.03.2015, Az. 2 O 284/14, ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung zum Oberlandesgericht Karlsruhe ein.

Wie entschied das Oberlandesgericht über den Löschungsanspruch nach Restschuldbefreiung?

Das Oberlandesgericht Karlsruhe wies die Berufung zurück. Der Kläger habe derzeit keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Löschung des Eintrags hinsichtlich der erteilten Restschuldbefreiung.

_ Zulässige Datenspeicherung

Die Datenspeicherung über die Restschuldbefreiung sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zulässig:

„Die Mitteilung des AG Bochum vom 25.02.2013 über die Erteilung der Restschuldbefreiung ist öffentlich bekannt gemacht worden und war daher tauglicher Anlass einer Datenspeicherung (vgl. KG, Urteil vom 07.02.2013, 10 U 118/12, […], Ls. 1 und Tz. 6). Für die Frage, ob die Daten aus einer öffentlichen Quelle entnommen worden sind, ist allein auf den Zeitpunkt der Speicherung abzustellen (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 14.12.2015, 1 U 128/15, BeckRS 2016, 00547).“

_ Kein überwiegendes Interesse des Klägers an der Löschung

Der Kläger könne sich hierbei nicht auf ein überwiegendes eigenes Interesse berufen:

„Der Ausschlusstatbestand eines überwiegenden schutzwürdigen Interesses des Betroffenen liegt nicht vor. Für potentielle Geschäftspartner des Schuldners ist es im Rahmen der Bonitätsprüfung wichtig zu erfahren, ob bei dem Schuldner die Gefahr besteht, wieder insolvent zu werden. Für die Einschätzung dieser Gefahr kann die Erteilung der Restschuldbefreiung ein nicht unerhebliches Indiz sein (vgl. KG, aaO; OLG Frankfurt a.M., aaO) Es ist dabei nicht Zweck der Erteilung der Restschuldbefreiung, dass der Schuldner wieder am Wirtschaftsleben teilnehmen kann, als ob es das Insolvenzverfahren gar nicht gegeben hätte. Der Kläger kann nicht verlangen, einer Person gleichgestellt zu werden, die niemals von einer Insolvenz betroffen war. Ein solches Interesse ist nicht schutzwürdig und kann deshalb auch nicht offensichtlich das Interesse von zukünftigen Geschäftspartnern an der Überprüfung der Kreditwürdigkeit ihrer Schuldner überwiegen (OLG Frankfurt, aaO, Tz. 16).“

_ Speichermöglichkeit für 3 Jahre

Die Voraussetzungen einer Löschung nach § 35 BDSG würden gegenwärtig nicht vorliegen.

Nach § 35 Abs. 2 S. 4 BDSG könne die Beklagte den Umstand der Restschuldbefreiung bis zum 31.12.2016 gespeichert lassen, ohne zu einer Prüfung der fortdauernden Speicherung verpflichtet zu sein. Die 3-jährige Frist nach § 35 Abs. 2 S. 4 BDSG habe am 01.01.2014 zu laufen begonnen, nachdem die Erteilung der Restschuldbefreiung erst im Jahr 2013 im Internet veröffentlicht worden sei.

Der Kläger könne sich dabei auch nicht auf besondere, zu seinen Gunsten sprechende, Umstände berufen:

„Weder das ‚Wohlverhalten‘ eines Schuldners in der Zeit zwischen Ankündigung der Restschuldbefreiung (vgl. § 291 Abs. 1 InsO ) und deren Gewährung (vgl. § 300 Abs. 1 InsO ), noch die Wahrung geordneter finanzieller Verhältnisse in der Zeit danach begründen atypische Umstände, die unter Beachtung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 120, 378 ) zu einer vorzeitigen Prüfung im Sinne des § 35 Abs. 2 Nr. 4 BDSG zwingen, ob eine länger währende Speicherung der personenbezogenen Daten noch erforderlich ist (vgl. VG Karlsruhe, Gerichtsbescheid vom 26.10.2012 , 6 K 1837/12, […])“

Zwar erlaube es § 35 Abs. 2 S. 1 BDSG, personenbezogene Daten jederzeit zu löschen. Es handele sich jedoch um eine Kann-Vorschrift:

„Damit stellt sich die Frage, ob jenseits des Satzes 2 seitens der verantwortlichen Stelle eine Interessenabwägung stattzufinden hat, die – ähnlich einer Ermessensentscheidung im öffentlichen Bereich – dazu führen kann, dass nach Satz 1 – bei einer entsprechend anzunehmenden Ermessensreduzierung auf Null – Daten zu löschen ’sind‘. Das ist jedoch zu verneinen.“

Die Kann-Vorschrift von § 35 Abs. 2 S. 1 BDSG liege in der Systematik des § 4 BDSG begründet, wonach es für einen Datenverarbeitungsvorgang eine Rechtsgrundlage erforderlich sei. Danach sei auch für Datenlöschungen als Verarbeitungsvariante des § 3 Abs. 4 BDSG eine Rechtsgrundlage erforderlich. Diese Rechtsgrundlage werde in § 35 Abs. 2 Satz 1 gegeben. Sie regle damit Löschungen, zu denen die verantwortliche Stelle berechtigt, aber nicht verpflichtet sei. Ein Anspruch auf Löschung könne damit auf § 35 Abs. 2 Satz 1 BDSG aber nicht gestützt werden.

_ Kein Anwendungsvorrang der InsIntBekV

Aus den Vorschriften der InsIntBekV ergebe sich kein Anwendungsvorrang der dortigen Veröffentlichungsfristen. Ebenso sei nicht veranlasst, aufgrund der dortigen Regelungen § 35 BDSG einschränkend auszulegen:

„Der Kläger verkennt, dass die Regelungen der InsIntBekV eine andere Zielrichtung haben. Diese betreffen allein die Festlegung der Grundsätze für öffentliche Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren, nicht jedoch der Festlegung einer von § 35 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 BDSG abweichenden Löschungsfrist für die Mitteilung über die Erteilung von Restschuldbefreiungen (KG aaO, Tz. 17).

Die insoweit deutlich kürzeren Fristen der InsIntBekV sind insbesondere auch vor dem Hintergrund einer deutlich höheren Eingriffsintensität zu sehen. Während eine Auskunftserteilung der Beklagten an Dritte nur bei Darlegung eines berechtigten Interesses und zudem gegen Entgelt erfolgt, ist die Einsicht in die Insolvenzbekanntmachungen jedermann kostenfrei und ohne größeren Aufwand durch Internetabruf (www.insolvenzbekanntmachungen.de) möglich. Damit sind diese Bekanntmachungen nicht lediglich für potentielle Geschäftspartner des Betroffenen einsehbar, sondern auch für Nachbarn, Kollegen und Bekannte, die außer der Befriedigung persönlicher Neugier kein Interesse an der Informationserlangung haben. Damit ist die Eingriffsintensität der Speicherung und Veröffentlichung nach den unterschiedlichen Rechtsvorschriften nicht im Ansatz vergleichbar.“

Und weiter zu einer einschränkenden Auslegung von § 35 BDSG:

„Die Voraussetzungen einer einschränkenden Auslegung liegen angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts des § 35 Abs. 2 Nr. 4 BDSG nicht vor. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Reichweite des Eingriffs bei einer Speicherung durch Wirtschaftsauskunfteien planwidrig verkannt hat. § 29 Abs. 1 Nr. 2 BDSG betrifft ausdrücklich auch die Datenspeicherung zu gewerblichen Zwecken. Da die Vorschriften der InsIntBekV zum Zeitpunkt der hier maßgeblichen Änderung des BDSG bereits in Kraft waren, lässt sich aus den dortigen Vorschriften auch nicht schließen, der Gesetzgeber habe eine andere Regelung im Sinne des § 1 Abs. 3 BDSG schaffen wollen.“

_ Kein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz

Die maßgeblichen Vorschriften des BDSG würden auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Zwar könne es vom Zufall abhängen, ob die Veröffentlichung einer Restschuldbefreiung im „Altjahr“ oder „Neujahr“ erfolge. Damit könne auch der Zeitraum bis zur erstmaligen Prüfung der Löschungsvoraussetzungen um bis zu ein Jahr differieren. Dies sei jedoch hinzunehmen:

„Die sogenannte ‚Ultimoregelung‘ schafft – ähnlich der Ultimoverjährung nach § 199 Abs. 1 BGB – für die Fristberechnung klare Verhältnisse und erleichtert damit die Fristenkontrolle im Rechtsverkehr. Hierdurch wird eine Vielzahl unterschiedlicher Fristen verbunden mit der Gefahr ihrer Versäumung vermieden.“

Welche Auswirkung hat das Urteil auf die Praxis?

Viele redliche Insolvenzschuldner stehen nach erfolgreich durchgestandener Wohlverhaltensphase und mit erteilter Restschuldbefreiung oft nicht besser da als zuvor: Banken beurteilen die Kreditwürdigkeit rein schematisch – wer bei der SCHUFA oder einer anderen Wirtschaftsauskunftei den Eintrag „Restschuldbefreiung“ hat, erhält keinen Kredit, auch wenn zusätzliche Sicherheiten in Form von Bürgschaften oder auf andere Weise gestellt werden. So gilt weiterhin, was bereits >hier< angesprochen wurde: § 35 BDSG legt dem ehemaligen Insolvenzschuldner außerhalb des Insolvenzrechts eine zusätzliche Bewährungszeit auf, die innerhalb der Insolvenzordnung keine Wiederhall findet.

Ob mit dem Urteil aus Karlsruhe insbesondere das letzte Wort zum verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Löschung des Eintrags über die Restschuldbefreiung gesprochen ist, bleibt abzuwarten. Dies lässt sich sicherlich auch anders sehen.

Jedenfalls besteht Diskussions- und wohl auch Nachbesserungsbedarf. Eine flexiblere Lösung, beispielsweise mit einer maximalen Speicherfrist, die abhängig ist von der Dauer der Wohlverhaltensphase, sollte möglich sein. Und ruhig auch noch einmal ein Blick auf das Verfassungsrecht mit seinem Gleichbehandlungsgrundsatz.

(Überarbeitet 27.05.2016)

 

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