OLG München: Meinungsfreiheit geht Facebook-Nutzungsbedingungen vor

Facebook-Gemeinschaftsstandards, Meinungsfreiheit und „virtuelles Hausrecht“ – das Oberlandesgericht München entschied mit Beschluss vom 27.08.2018, Az. 18 W 1294/18: Die Klausel 5.2 der von Facebook vorgegebenen „Erklärung der Rechte und Pflichten (DE)“ ist unwirksam, weil sie die Nutzer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Facebook steht kein „virtuelles Hausrecht“ zu, das es gestatten würde, den Beitrag eines Nutzers, in dem Facebook einen Verstoß gegen die Plattform-Richtlinien erblickt, auch dann zu löschen, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet.

Was war geschehen?

Die Antragstellerin begehrte den Erlass einer einstweiligen Verfügung, durch die der Facebook Ireland Limited als Betreiberin von „Facebook“ untersagt werden sollte,

  • den von der Antragstellerin auf der Facebook-Seite von „Spiegel-Online“ zu dem Artikel mit der Überschrift „Österreich kündigt Grenzkontrollen an“ eingestellten Kommentar mit dem Wortlaut:
    “ ……  Gar sehr verzwickt ist diese Welt,
    mich wundert’s daß sie wem gefällt.
    Wilhelm Busch (1832 – 1908)
    Wusste bereits Wilhelm Busch 1832 zu sagen :–D Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.“
    auf www.facebook.com zu löschen
  • und die Antragstellerin wegen des Einstellens des vorgenannten Textbeitrages auf www.facebook.com zu sperren.

Dies hatte Facebook zuvor getan, und zwar unter Berufung auf die Klausel Nr. 5 der „Erklärung der Rechte und Pflichten (DE)“ mit folgendem Inhalt:

„Schutz der Rechte anderer Personen

Wir respektieren die Rechte anderer und erwarten von dir, dass du dies auch tust.

  1. Du wirst keine Inhalte auf Facebook posten oder Handlungen auf Facebook durchführen, welche die Rechte einer anderen Person oder das Gesetz verletzen.
  2. Wir können sämtliche Inhalte und Informationen, die du auf Facebook gepostet hast, entfernen, wenn wir der Ansicht sind, dass diese gegen diese Erklärung bzw. unsere Richtlinien verstoßen.

(…)“

Das erstinstanzlich zuständige Landgericht München II wies den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 14.08.2018 zurück. Hiergegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO ein. Das Landgericht München II half der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vor.

Wie entschied das Oberlandesgericht München?

Das Oberlandesgericht München half der sofortigen Beschwerde ab und erließ die beantragte einstweilige Verfügung.

Anspruchsgrundlage für die gegen Facebook geltend gemachten Ansprüche, die Löschung der Äußerung der Antragstellerin sowie deren hierauf gestützten Sperrung zu unterlassen, sei jeweils der zwischen den Parteien bestehenden Vertrag, durch den sich Facebook verpflichtet habe, der Antragstellerin die Nutzung der von ihr angebotenen „Facebook-Dienste“ zu ermöglichen, in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB:

„Mit der Anmeldung ist zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin ein Vertragsverhältnis zustande gekommen.“

Facebook habe für die Löschung der Äußerung von einer Befugnis Gebrauch machen wollen, die in ihrer „Erklärung der Rechte und Pflichten“ unter Nr. 5.2 geregelt ist. Bei diesem Regelwerk handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen der im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die Klausel Nr. 5.2 sei allerdings unwirksam, weil sie die Nutzer als Vertragspartner der Verwenderin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB):

„Nach dem Wortlaut der Klausel – dem zugleich die bei der gebotenen Auslegung zu Lasten des Verwenders (§ 305c Abs. 2 BGB) zugrunde zu legende kundenunfreundlichste Auslegung entspricht – kommt es für die Beurteilung der Frage, ob ein geposteter Beitrag gegen die Richtlinien der Antragsgegnerin verstößt und deshalb gelöscht werden darf, allein auf das Urteil der Antragsgegnerin an. Dieses einseitige Bestimmungsrecht der Antragsgegnerin steht im Widerspruch dazu, dass der Vertrag zwischen Nutzer und Plattformbetreiber gemäß § 241 Abs. 2 BGB seinem Inhalt nach beide Vertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet (ebenso LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, S. 4).“

Mit Blick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gelte:

„Für den Inhalt und die Reichweite der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme ist im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung, dass die von der Antragsgegnerin bereitgestellte Social-Media-Plattform www.facebook.com dem Zweck dient, den Nutzern einen ‚öffentlichen Marktplatz‘ für Informationen und Meinungsaustausch zu verschaffen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 10.08.2017 – 16 U 255/16, Rn. 28, zit. nach juris). Im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts des Nutzers auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), muss deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf (ebenso LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 14.05.2018 – 2-03 O 182/18, S. 4 f. m.w.N.).“

Facebook könne sich auch nicht auf die in den „Gemeinschaftsstandards“ geregelte Befugnis zur Entfernung sogenannter „Hassbotschaften“ berufen.

Die Äußerung stelle evident keine „Hassbotschaft“ nach der Definition der Antragsgegnerin dar.

Bei der Einordnung „Hassbotschaft ja oder nein“ sei zunächst folgender Interpretationsmaßstab anzulegen:

„Die Interpretation einer Äußerung setzt die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums voraus. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 12.04.2016 – VI ZR 505/14, Rn. 11 m.w.N., MDR 2016, 648 f.). Fern liegende Deutungen sind auszuscheiden. Ist der Sinn einer Äußerung unter Zugrundelegung des vorstehend erörterten Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen. Zeigt sich dagegen, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt, oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98, Rn. 31, BVerfGE 114, 339 – 356).“

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze könne die streitgegenständliche Äußerung der Antragsgegnerin nicht als „Hassbotschaft“ im Sinne der Facebook-Definition gewertet werden. Die Antragstellerin führe vielmehr eine persönliche Auseinandersetzung mit einer individuellen Kritikerin.

Die Äußerung stellte auch keinen rechtswidrigen Inhalt im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG dar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der in dieser Vorschrift genannten Strafnormen seien ganz offensichtlich nicht erfüllt.

Durchsetzung im Eilverfahren – keine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache

Ungeachtet des Grundsatzes, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung zu einer vollständigen Befriedigung der Antragsstellerin und damit zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen dürfe, habe sich die Antragstellerin nicht auf die Erhebung der Hauptsacheklage gegen die Sperrung verweisen lassen müssen. Eine auf Erfüllung gerichtete Leistungsverfügung sei zulässig, wenn die Verweisung des Gläubigers auf die Erhebung der Hauptsacheklage praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme.

„Unter Berücksichtigung des gewöhnlichen Verfahrensgangs kann nahezu ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin bis zum Ablauf der auf 30 Tage befristeten Sperrung ein obsiegendes Urteil in der Hauptsache erstreiten könnte. Ihre Verweisung auf die Erhebung der Hauptsacheklage käme deshalb im Ergebnis einer Rechtsverweigerung gleich.“

Keine Rolle spiele, dass die Antragstellerin andere Kommunikationsmittel weiterhin zur Verfügung stünden:

„Verfehlt ist in diesem Zusammenhang die Erwägung des Landgerichts, dass der Antragstellerin eine ’soziale Kommunikation‘ – über andere Kommunikationsmittel – grundsätzlich möglich sei. Diese Argumentation blendet den entscheidenden Gesichtspunkt aus, dass der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin ein vertraglicher Erfüllungsanspruch auf die Bereitstellung der von dieser angebotenen ‚Facebook-Dienste‘ zusteht.“

In der Löschung des Postings und der Spere liege eien erhebliche Einschränkung der Eminungsfreiheit:

„Nicht gefolgt werden kann auch der Ansicht des Landgerichts, dass in der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung keine so weitgehende Einschränkung der Meinungsfreiheit der Antragstellerin liege, dass diese nicht im Rahmen einer Hauptsacheklage geltend gemacht werden könnte, weil die Äußerung in keinem Zusammenhang mit einem aktuellen Ereignis stehe. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkt sich nicht auf das Recht, zu aktuellen Ereignissen Stellung zu nehmen. Das Argument des Landgerichts ist zudem sachlich falsch. Mit der Löschung der streitgegenständlichen Äußerung hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin rechtswidrig verwehrt, sich an einer aktuell auf der Facebook-Seite von ‚Spiegel-Online‘ geführten Debatte zu Grenzkontrollen zu beteiligen.“

Welche Auswirkung hat die Entscheidung auf die Praxis?

Noch fehlt eine einheitliche Rechtsprechung, unter welchen Umständen Facebook unter Berufung auf deren Allgemeine Geschäftsbedingungen – wie auch immer sie betitelt sein mögen – Postings löschen und Mitglieder sperren darf.

Das Landgericht Heidelberg entschied mit Urteil vom 28.08.2018, Az. 1 O 71/18, die Facebook-Gemeinschaftsstandards würden das Grundrecht der Nutzer auf Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in angemessener Weise berücksichtigen. Art. 5 Abs. 1 GG sei Ausdruck des Konzepts der demokratischen Meinungsbildung des verfassten Rechtsstaats. Als gewinnorientiertes Unternehmen sei Facebook jedoch nicht verpflichtet, dieses Konzept in Gänze zu verwirklichen, solange die grundsätzlichen Wertentscheidungen der deutschen Verfassung beachtet würden. Das Landgericht Heidelberg gestand Facebook also eine Art „virtuelles Hausrecht“ zu, das die Löschung und des Postings und die Sperre des Mitglieds auf Grundlage eigener Wertmaßstäbe erlaubte.

Das muss das Boot abkönnen

Indes: Facebook ist nicht irgend ein kleines Special-Interest-Forum, sondern eine globale soziale Plattform – und Facebook will eine solche globale Plattform sein. Wer mit einem derartigen agiert, hat die Maßstäbe der Verfassung gegen sich gelten und lassen und darf sich nicht mehr darin gefallen, Gouvernante zu spielen und zu definieren, welche Äußerungen unerwünscht sind.

Nathan der Weise“ mag noch nie die bevorzugte Stammtisch-Lektüre gewesen sein. Als ein der Aufklärung, der Vernunft und dem Maßvollen zugeneigter Mensch mag man einen Gutteil der Äußerungen, die in den Facebook-Echokammern von der einen wie von der anderen Seite rund um Flucht und Migration produziert werden, abwegig, ja dumm und abstoßend finden. Aber, um den „Alten“ aus „Das Boot“ zu zitieren: „Das muss das Boot abkönnen.“ Zensur freier Meinungsäußerung ist nur das Eingeständnis des eigenen intellektuellen Unvermögens.

 

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