Facebook-Sperre zulässiger Meinungsäußerungen als Hasskommentar erlaubt – LG Frankfurt

Facebook-Sperre nach Hasskommentar – das Landgericht Frankfurt am Main entschied mit Beschluss vom 10.09.2018, Az. 2-03 O 310/18: Der Betreiber eines sozialen Netzwerks kann seine Verhaltensregeln durchsetzen, indem er rechtswidrigen Inhalt entfernt oder oder einen Nutzer-Account sperrt. Im Einzelfall dürfen auch Äußerungen gelöscht werden, die grundsätzlich durch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sind.

Facebook-Sperre nach Hasskommentar – was war geschehen?

Der Antragsteller verfasste auf Facebook als Reaktion auf einen Online-Artikel der Zeitung „Welt“ mit dem Titel „Eskalation in Dresden – 50 Asylbewerber attackieren Polizisten – Beamte werden getreten und geschlagen“ folgenden Kommentar:

„Wasser marsch, Knüppel frei und dann eine Einheit Militärpolizisten! Dann ist schnell Ruhe! Und jeden ermittelten Gast Merkels ab in die Heimat schicken.“

Facebook sperrte den Antragsteller am 21.07.2018 für 30 Tage. Hiergegen beantragte das gesperrte Facebook-Mitglied den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtet auf die Unterlassung der Sperre sowie Entfernung eines „Posts“ bei Facebook wegen einer von ihm verfassten Äußerung.

Wie entschied das Landgericht Frankfurt am Main über die Facebook-Sperre?

Das Landgericht wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als unbegründet zurück. Es fehle an einem Verfügungsanspruch. Der Antragsteller könne von der Antragsgegnerin nicht, auch nicht gestützt auf die §§ 241 Abs. 2, 1004 BGB, die Unterlassung der Sperre (und der Löschung) aufgrund der streitgegenständlichen Äußerung verlangen. Grundsätzlich könne der Betreiber eines sozialen Netzwerks seine Verhaltensregeln auch durch Entfernung eines rechtswidrigen Inhalts oder durch Sperrung eines Nutzeraccounts durchsetzen.

Auch unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Eminungsfreiheit falle die Interessenabwägung zum Nachteil des Facebook-Mitgliedes aus:

„Unter Berücksichtigung der mittelbaren Wirkung der Grundrechte in das Verhältnis zwischen den Parteien und der insoweit einzustellenden gegenseitigen Interessen kann die Löschung einer Äußerung andererseits aber im Einzelfall selbst dann zulässig sein, wenn die Äußerung selbst noch von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt ist.“

Die streitgegenständliche Löschung und Sperre sei zulässig, da die Äußerung des Antragstellers als Hassrede anzusehen sei:

„Die hier betroffene Äußerung ist zunächst als Meinungsäußerung zu qualifizieren.

[…]

Die Äußerung ist auch nicht aus dem Grunde nach dem Maßstab des Art. 5 Abs. 1 GG als unzulässig anzusehen, dass sie Schmähkritik darstellen würde.“

Aber:

„Die streitgegenständliche Äußerung verstößt […] gegen die Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin.“

[…]

Die Äußerung des Antragstellers fällt unter die Hassrede-Bedingungen der Antragsgegnerin, da sie zu Gewalt gegen die hier betroffenen Flüchtlinge aufruft. Denn der Durchschnittsempfänger kann die Äußerung nur so verstehen, dass Wasserwerfer, Knüppel und ggf. weitere Maßnahmen gegen Flüchtlinge angewendet werden sollen.“

Die Äußerung sei auch nach den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dessen Entscheidung 64569/09 „Delfi AS ./. Estland“ vom 16.06.2015, Rn. 110, 136, 140, 157, als Hassrede anzusehen.

In der konkreten Abwägung der Interessen der Parteien überwiege vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin am Betrieb ihrer Plattform, durch den es auch den übrigen Nutzern ermöglicht werden solle, die Plattform zu nutzen.

„Insoweit hat die Kammer zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt, dass die Maßnahmen der Antragsgegnerin seine Möglichkeit zur Äußerung – jedenfalls auf der Plattform der Antragsgegnerin – einschränken. Ihm wird dadurch die konkrete Äußerung unmöglich gemacht, darüber hinaus kann er sich für einen gewissen Zeitraum über die Plattform der Antragsgegnerin gar nicht äußern.

Auf Seiten der Antragsgegnerin hat die Kammer […] das Interesse der Antragsgegnerin am geregelten Betrieb ihrer Plattform und der Ermöglichung von freier Rede für alle Nutzer berücksichtigt. Denn durch die Veröffentlichung von Hassrede kann der Diskussionsverlauf nachhaltig gestört werden, so dass andere Nutzer von einer weiteren Beteiligung absehen (vgl. VG München MMR 2018, 418 Rn. 27).

Auf Seiten der Antragsgegnerin hat die Kammer […] das Interesse der Antragsgegnerin am geregelten Betrieb ihrer Plattform und der Ermöglichung von freier Rede für alle Nutzer berücksichtigt. Denn durch die Veröffentlichung von Hassrede kann der Diskussionsverlauf nachhaltig gestört werden, so dass andere Nutzer von einer weiteren Beteiligung absehen (vgl. VG München MMR 2018, 418 Rn. 27).

Weiter war einzustellen, dass Löschung und Sperre durch die Antragsgegnerin mit einem allgemeinen Äußerungsverbot, wie es z.B. § 130 Abs. 4 StGB vorsieht, nicht zu vergleichen sind. Denn durch Äußerungsdelikte wie § 130 Abs. 4 StGB oder die in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Vorschriften werden bestimmte Äußerungen kriminalisiert und damit in allen Kontexten und allen Verbreitungswegen strafbewehrt untersagt. Ebenso sind bei äußerungsrechtlichen Unterlassungsverfügungen einzelne Äußerungen – jedenfalls im Rahmen und unter den Voraussetzungen der Kerntheorie – generell und unabhängig vom Verbreitungsweg zu unterlassen.

Demgegenüber geht es vorliegend darum, dass dem Antragsteller die Wiederholung seiner Äußerung allein auf der Plattform der Antragsgegnerin untersagt wird. Es geht also gerade nicht darum, dass der Antragsteller sich überhaupt nicht derart äußern kann, dies steht ihm außerhalb der Plattform der Antragsgegnerin unabhängig vom hiesigen Antrag frei (LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 20.08.2018 – 2-03 O 306/18; kritisch insoweit im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18). Der Eingriff in die Rechte des Antragstellers ist daher insgesamt gegenüber einer äußerungsrechtlichen Unterlassungsverfügung oder durch die genannten Äußerungsdelikte deutlich eingeschränkt. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass die Antragsgegnerin eine – möglicherweise sogar marktbeherrschende – Plattform zur Verfügung stellt, damit einen wesentlicher Marktplatz für Informationen darstellt und ein großes Interesse für den Antragsteller daran besteht, seine Meinung auf dieser konkreten Plattform äußern zu können. Der Eingriff in die Rechte des Antragstellers ist hier zweifelsohne erheblich, er enthält jedoch kein Gesamtverbot und ist damit jedenfalls im Vergleich dazu weniger schwerwiegend. Auf der anderen Seite ist das Interesse der Antragsgegnerin an der Sperre solcher Äußerungen wie oben dargestellt ebenfalls erheblich und jedenfalls unter Zugrundelegung der Maßstäbe des EGMR auch berechtigt.

Die Löschung und Sperre waren darüber hinaus auch nicht als willkürlich anzusehen, da sie jedenfalls aufgrund der Einordnung der Äußerung des Antragstellers als Hassrede den Bedingungen der Antragsgegnerin entsprechen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.06.2018 – 15 W 86/18; OLG Dresden, Beschl. v. 08.08.2018 – 4 W 477/18, BeckRS 2018, 18249; LG Heidelberg, Beschl. v. 28.08.2018 – 1 O 71/18; offen gelassen OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18).“

Welche Auswirkung hat die Entscheidung auf die Praxis?

Das Landgericht Frankfurt räumt den „Gemeinschaftsstandards“ von Facebook im Ergebnis ein höheres Gewicht als dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit ein: Auch wenn der Kommentar im Übrigen die Grenzen der Meinungsfreiheit noch immer einhält, kann er gelöscht werden, weil er den – von Facebook einseitig vorgegebenen – Standards zuwiderläuft.

Den entgegengesetzten Standpunkt vertrat zuletzt das Oberlandesgericht München mit Beschluss vom 27.08.2018, Az. 18 W 1294/18: Nach Auffassung dieses Gerichts steht Facebook kein „virtuelles Hausrecht“ zu, das es gestatten würde, den Beitrag eines Nutzers, in dem Facebook einen Verstoß gegen die Plattform-Richtlinien erblickt, auch dann zu löschen, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet.

Das Landgericht Frankfurt am Main übersieht bei seiner Güterabwägung einen wesentlichen Apekt, wenn es das Interesse von Facebook bewertet, seine Social-Media-Plattform zu betreiben und anderen Personen zu ermöglichen, diese Plattform zu nutzen:

Bei einer „analogen“ Live-Diskussion kommt man um den Zwischenrufer oder gar Störer nicht herum. Zwischenrufer und Störer behindern die Diskussion alleine schon deshalb, weil sie zu hören sind.

Bei einer „digitalen“ Diskussion auf einer Social-Media-Plattform wie etwa Facebook ist das anders: Jeder Kommentar steht erst einmal nur schweigend da. Er ist nicht mehr als eine Ansammlung von Buchstaben auf dem Bildschirm. Er entfacht aus sich selbst heraus keinerlei Wirkung. Der Kommentar kann aufgegriffen werden – oder er kann, da neben der Sache und der Diskussion nicht zuträglich, ignoriert werden. Auf diese Weise rutscht er nach einiger Zeit, ohne irgend etwas bewirkt zu haben, aus dem Bereich der sichtbaren Bildschirm-Anzeige.

Es liegt also nicht am Autor des Kommentars, sondern es liegt an den anderen Beteiligten, was sie aus dem Kommentar machen. Wer wild in die Tasten haut und Unsinn, ja vielleicht Hass, online stellt, macht es anderen Nutzern noch lange nicht unmöglich, die Plattform zu nutzen. Diese anderen machen es sich allenfalls selbst unmöglich, indem sie meinen, auf jede Nichtigkeit reagieren zu müssen.

Gelassenheit ist in der Diskussion angesagt, nicht Zensur vielleicht intellektuell erbärmlicher, trotzdem noch immer verfassungskonformer, Äußerungen mit Hilfe „virtueller Hausrechte“ und einseitig nach Gutsherrenart auferlegter „Gemeinschaftsstandards“.

 

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