OLG Dresden: Akteneinsicht und Aktenkopie im Arzthaftungsprozess

Akteneinsicht im Arzthaftungsprozess durch Aktenkopie – das Oberlandesgericht (OLG) Dresden entschied mit Beschluss vom 28.06.2021, Az. 4 W 386/21: Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es, dass das Gericht einer Prozesspartei auch beigezogene Aktenteile in Kopie zur Verfügung stellt, wenn sie sich im Rahmen ihres Vortrages mit deren Inhalt auseinandersetzen muss.

Sachverhalt: Worum geht es?

Die Prozessparteien führen vor dem Landgericht Zwickau einen Arzthaftungsprozess. Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend. Das Landgericht hat Behandlungsunterlagen von Mit- und Nachbehandlern beigezogen. Die Beklagten beantragten, nachdem das Landgericht die Versendung von Originalbehandlungsunterlagen abgelehnt hatte, ihnen Kopien gegen Kostenerstattung zu übersenden. Auch dies verweigerte das Landgericht. Hiergegen legten die Beklagten sofortige Beschwerde gemäß §§ 567 ff. ZPO ein, der das Landgericht aber nicht abhalf. In der Folge musste das übergeordnete Oberlandesgericht entscheiden.

Ergebnis: Wie entschied das Gericht?

Das Oberlandesgericht Dresden entschied zugunsten der Beklagten. Der Anspruch resultiere aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs.

_ Anspruchsgrundlage

Zur Anspruchsgrundlage führte das Oberlandesgericht aus:

„Der Anspruch auf Akteneinsicht ergibt sich nicht unmittelbar aus § 299 ZPO, denn die von Dritten nach § 142 Abs. 1 ZPO beigezogenen Originalurkunden sind nicht Teil der Prozessakte (vgl. Greger in Zöller, 33. Aufl., § 142 Rdnr. 16; vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.09.2012 – 13 W 90/12 – juris; vgl. BGH, Beschluss vom 14.01.2020 – X ZR 33/19 – juris). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gebietet es aber, den Parteien Einsichtnahme in Unterlagen zu gewähren, auf deren Grundlage die Entscheidung des Gerichtes gestützt wird. Daher ist eine entsprechende Anwendung von § 299 ZPO geboten (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.09.2012 – 13 W 90/12).“

_ Inhalt des Akteneinsichtsrechts

Zum Zeitpunkt und zum Umfang des Akteneinsichtsrechts führte das Oberlandesgericht aus:

„Zu einer ordentlichen, verantwortlichen Prozessführung einer Partei gehört die Möglichkeit, in jedem Stadium des Verfahrens Einsicht in für das Verfahren wesentliche Unterlagen nehmen zu können, was nur dadurch gewährleistet werden kann, wenn der Partei bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten Abschriften von diesen Unterlagen bei ihren Akten haben.“

_ Aktendurchsicht in der Geschäftsstelle nicht ausreichend

Es reiche nicht aus, dem Anwalt der Prozesspartei die Möglichkeit zu geben, die Akten in der Geschäftsstelle des Gerichts durchzulesen:

„Ein Anwalt muss, wenn er Schriftsätze anfertigt, in denen er sich mit diesen Unterlagen auseinanderzusetzen hat, diese Abschriften vorliegen haben (so OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.09.2012 – 13 W 90/12). Allein die Gefahr, dass bei Ablichtungen durch die Geschäftsstelle ein Verlust- oder Vertauschrisiko besteht, rechtfertigt es nicht, der Partei keine Ablichtungen zu übersenden (anderer Ansicht: OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2006 – 3 W 38/06 – juris).“

_ Geschäftsstelle muss sich organisieren

Es sei Sache der Geschäftsstelle, die Aktenkopie so zu erstellen, dass dabei die Originalakte nicht in Unordnung gerät:

„Das Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass zuverlässige Mitarbeiter den Kopiervorgang in sorgfältiger Weise durchführen (so OLG Karlsruhe, a.a.O.). Die gleichwohl bestehende Gefahr, dass Unterlagen nicht oder falsch eingeheftet werden, muss im Hinblick auf den Anspruch auf rechtliches Gehör der Partei in Kauf genommen werden.“

Auswirkung auf die Praxis

Akteneinsicht ist gleich Aktenkopie – so lässt sich die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden in ihrem Kern zusammenfassen.

Aber die Entscheidung reicht noch darüber hinaus: Wenn die Prozesspartei in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit haben muss, Einsicht in für das Verfahren wesentliche Unterlagen nehmen zu können, dann steht es der Geschäftsstelle nicht völlig frei, wann sie die Akteneinsicht gewähren will. Vielmehr muss die Geschäftsstelle die Akteneinsicht so rechtzeitig gewähren, ggf. also die Aktenkopie so rechtzeitig zur Verfügung stellen, dass die Prozesspartei bzw, deren anwaltliche Vertretung nicht Gefahr läuft, nur lückenhaft vortragen oder verspätet vortragen zu können.

Der Geschäftsbetrieb geht der Gewährung von Akteneinsicht nicht vor, sondern die Akteneinsicht ist Teil des Geschäftsbetriebes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden kann in der Rechtsprechungsdatenbank ESAMOSplus des Freistaates Sachsen unter Eingabe des Aktenzeichens 4 W 386/21 im Volltext abgerufen werden.

 

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