BGH-Urteil: Keine Vertragsstrafe bei 70-stelliger Bild-URL

Vertragsstrafe nach Unterlassungserklärung, weil das Foto noch über die Datei-URL aufgerufen werden kann – der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil „Lautsprecherfoto“ vom 27.05.2021, Az.: I ZR 119/20: Ein Foto ist auf einer Website nicht mehr öffentlich wiedergegeben, wenn es nur noch isoliert per Deep Link durch Eingabe der 70-stelligen Bild-URL gefunden werden kann.

Sachverhalt: Worum geht es?

Der Kläger ist Berufsfotograf. Er verlangte von dem Beklagten eine Vertragsstrafe aus einer Unterlassungserklärung. Der Beklagte hatte nämlich ursprünglich unerlaubt drei vom Kläger gefertigte Fotos verwendet, um damit zwei Angebote zum Verkauf von Lautsprechern auf der Internet-Handelsplattform eBay-Kleinanzeigen zu illustrieren.

Auf die Abmahnung des Klägers verpflichtete sich der Beklagte unter dem 23. April 2013 gegenüber dem Kläger, es bei Meidung einer Vertragsstrafe in Höhe von 1.000 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, die in der Erklärung näher bezeichneten drei Lichtbilder im Internet der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne die hierzu erforderlichen Rechte innezuhaben.

Der Kläger machte danach geltend, eines dieser Fotos sei noch bis zum 7. März 2014 unter einer URL, die aus einer über 70-stelligen Folge von groß und klein geschriebenen Buchstaben, Sonderzeichen und Ziffern bestand, von jedem PC mit Internetfunktion weltweit abrufbar gewesen. Er verlangte von dem Beklagten erneut Unterlassung sowie Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von 1.000 € nebst Zinsen.

Beides verweigerte der Beklagte.

Bereits vor dem Landgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 10.04.2019, Az. 6 O 299/18) und im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 16.06.2020, Az 11 U 46/19) blieb der Kläger erfolglos.

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision zum Bundesgerichtshof verfolgte der Kläger seine Anträge auf Unterlassung und Zahlung einer Vertragsstrafe nebst Zinsen weiter.

Ergebnis: Wie entschied der Bundesgerichtshof?

Auch die Revision erbrachte kein anderes Ergebnis.

Der vollständige amtliche Leitsatz lautet:

„Das für die Prüfung der öffentlichen Zugänglichmachung relevante Kriterium ‚recht viele Personen‘ ist nicht erfüllt, wenn ein Produktfoto, dass zunächst von einem Verkäufer urheberrechtsverletzend auf einer Internethandelsplattform im Rahmen seiner Verkaufsanzeige öffentlich zugänglich gemacht worden war, nach Abgabe einer Unterlassungserklärung des Verkäufers nur noch durch die Eingabe einer rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich war und nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben wird, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der Anzeige des Verkäufers frei zugänglich gewesen war – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert haben, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden war.“

Wenn ein Foto nur noch über einen 70-stelligen Deep Link aufrufbar sei, so der Bundesgerichtshof im Ergebnis, fehle jedenfalls die – für den Rechtsverstoß erforderliche – Wiedergabe gegenüber einer Öffentlichkeit:

„Der im Streitfall maßgebliche Begriff der Öffentlichkeit ist nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt. Um eine ‚unbestimmte Zahl potentieller Adressaten‘ handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 – C-306/05, GRUR 2007, 225 Rn. 37 – SGAE, mwN; zu Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG [jetzt Richtlinie 2006/115/EG] vgl. EuGH, Urteil vom 15. März 2012 – C-135/10, GRUR 2012, 593 Rn. 85 = WRP 2012, 689 – SCF; Urteil vom 15. März 2012 – C-162/10, GRUR 2012, 597 Rn. 34 – Phonographic Performance (Ireland); BGH, Urteil vom 17. September 2015 – I ZR 228/14, BGHZ 206, 365 Rn. 46 – Ramses; Urteil vom 11. Januar 2018 – I ZR 85/17, GRUR 2018, 608 Rn. 34 = WRP 2018, 701 – Krankenhausradio). Mit dem Kriterium ‚recht viele Personen‘ ist gemeint, dass der Begriff der Öffentlichkeit eine bestimmte Mindestschwelle enthält und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt.“

Das Berufungsgericht – das Oberlandesgericht Frankfurt – habe zutreffend angenommen, dass nach den Umständen des Streitfalls jedenfalls das Merkmal der Öffentlichkeit im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Grundsätze nicht erfüllt sei:

„Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Wiedergabe gegenüber ‚recht vielen Personen‘ liege auf der Grundlage der vom Kläger vorgetragenen Umstände nicht vor. Das streitgegenständliche Foto sei nur durch die Eingabe der rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich gewesen. Damit beschränke sich der relevante Personenkreis faktisch auf diejenigen Personen, die diese Adresse zuvor – als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der eBay-Anzeige des Beklagten frei zugänglich gewesen sei – abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert hätten, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden sei. Es widerspreche jeder Lebenserfahrung, dass außer dem Kläger noch ‚recht viele‘ andere Personen die URL-Adresse gekannt und Zugang zu dem Foto gehabt haben könnten. Diese tatgerichtliche Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.“

Auswirkung auf die Praxis

Nachfolge-Abmahnungen mit der Aufforderung, die Vertragsstrafe zu bezahlen und eine neue, mit einer höheren Vertragsstrafe bewehrte, Unterlassungserklärung abzugeben, weil zwar die ursprüngliche Seite vom Netz ist, das abgemahnte Foto oder die abgemahnte Abbildung aber über die Datei-URL weiterhin aufgerufen werden kann, sind in der Praxis gar nicht so selten.

Beispielsweise zuletzt

entschieden, dass ein Unterlassungsschuldner gegen seine Unterlassungserklärung verstößt, wenn dasselbe Foto im Anschluss durch Eingabe der URL oder durch Suche mit einer Suchmaschine im Internet weiterhin von jedermann unter der Domainadresse des Schuldners aufgerufen werden kann.

Ist dies alles nun mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs überholt?

Nein. Der BGH nämlich entschied im Ergebnis: „Es kommt darauf an.“ Es kommt auf den konkreten Einzelfall an. Es macht, so sind die Entscheidungsgründe des BGH zu verstehen, einen Unterschied, ob es sich – wie hier – um eine lange und kryptische Folge scheinbar wahllos aneinandergereihter Zeichen handelt, oder ob es sich um eine kurze, leicht zu merkende, vielleicht sogar „sprechende“ URL handelt.

Wer wegen einer rechtswidrigen Bildveröffentlichung auf der eigenen Website abgemahnt wurde, sollte sich also auch nach dem BGH-Urteil „Lautsprecherfoto“ vom 27.05.2021 nicht in falscher Sicherheit wiegen: Vielleicht ist die eigene Bild-URL nicht lang genug, um die Ausschlusskriterien zu erfüllen?

Der sichere Weg nach einer Unterlassungserklärung ist es weiterhin, zwei Maßnahmen zu ergreifen:

  1. Das Dateisystem sorgfältig zu durchsuchen und die Bilddatei zu löschen, wo immer sie gefunden wird,
  2. und die Suchmaschinenbetreiber aufzufordern, die ursprüngliche(n) Seite(n) mit dem dort eingebundenen Bild aus ihrem Cache zu löschen.

Für das Dateisystem ist der Administrator der richtige Ansprechpartner. Hinweise, wie das Bild aus dem Cache bei Google, Bind und anderen Suchmaschinen verschwindet, gibt es >hier<.

 

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