Kamera-Attrappe im Hausflur: Unzulässige Videoüberwachung

Vorgetäuschte Videoüberwachung durch Kameraattrappe im Mietshaus und Unterlassungsanspruch der Hausbewohner – das Landgericht Essen entschied mit Urteil vom 30.01.2019, Az. 12 O 62/18: Bereits eine vorgetäuschte Videoüberwachung durch eine im Hausflur angebrachte Kameraattrappe verletzt das Persönlichkeitsrecht, wenn sie ohne Einwilligung der betroffenen Person erfolgt. Erst recht gilt das für eine Bild- und Tonaufzeichnung durch eine funktionsfähige Kamera. Die Einwilligung der anderen Hausbewohner genügt nicht.

Kameraattrappe im Hausflur – was war geschehen?

Die Parteien sind Nachbarn in einem Mehrfamilienhaus. Die Beklagten bewohnen eine Wohnung im zweiten Obergeschoss. Der Beklagte zu 1) ist Eigentümer dieser Wohnung. Neben der Wohnung der Beklagten befindet sich keine weitere Wohnung auf derselben Etage. Der Kläger und seine Ehefrau wohnen zur Miete in einer Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses. Auf derselben Etage befindet sich eine weitere Wohnung. Seit dem 01.01.2019 ist der Beklagte zu 1) Eigentümer derjenigen Wohnung, in welcher der Kläger wohnt. Das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen den Parteien ist angespannt.

Im Januar 2017 installierten die Beklagten über ihrer Wohnungseingangstür im zweiten Obergeschoss eine Kameraattrappe. Diese Kameraattrappe richteten die Beklagten auf den Treppenaufgang von der ersten in die zweite Etage des Hauses. Die Kameraattrappe war mit einem rot leuchtenden Licht versehen, das den Anschein einer Aufnahme erweckte.

In der Zeit nach dem 16.07.2017 stellten die Beklagten in dem Hausflur vor ihrer Wohnung im zweiten Obergeschoss des Hauses zusätzlich zu der Kameraattrappe eine funktionsfähige Videokamera auf. Diese Kamera fertigte Bild- und Tonaufzeichnungen an.

Der Hausflur ist Gemeinschaftseigentum. Er darf von allen Bewohnern genutzt werden. Die Kamera erfasste auch ein Fenster im Hausflur. Personen, die das Fenster öffneten oder schlossen, wurden gefilmt.

Der Kläger hatte keine Einwilligung in die Installation der Kameras und in die Bild- und Tonaufzeichnung gegeben. Er verlangte von den Beklagten, sowohl die Kameraattrappe als auch die funktionsfähige Videokamera abzubauen und die Aufnahmen zu löschen. Die Beklagten machten geltend, sich mit Hilfe der Kameras vor Einbruchsdiebstählen und vor Auseinandersetzungen mit dem Kläger schützen zu wollen.

Wie entschied das Gericht?

Das Landgericht Essen entschied zugunsten des Klägers und verurteilte die Beklagten unter anderem dazu, die Videokamera und die Kameraattrappe zu entfernen sowie sämtliche mittels der Videokamera angefertigten Bild- und Tonaufnahmen von dem Kläger auf sämtlichen Datenträgern dauerhaft zu löschen.

_ Persönlichkeitsrechtsverletzung durch funktionstüchtige Videokamera

Durch die Video- und Audioaufnahmen sei der Kläger in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht in dessen Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Die Aufnahmen seien nicht durch schutzbedürftige Belange der Beklagten gerechtfertigt.

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart und persönliche Daten preisgegeben und verwendet werden (BGH, Urt. v. 16.03.2010, Az. VI ZR 176/09 = NJW 2010, 1533, 1534 Rn. I 1 ). Aus diesem Grund schützt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auch jedermann vor einer technisch gestützten Beobachtung und der Aufzeichnung persönlicher Lebenssachverhalte ohne Einwilligung. Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit wird gefährdet, wenn jederzeit mit der Beobachtung durch Personen gerechnet werden muss, die man selbst nicht sehen kann oder wenn die reproduzierbare Aufzeichnung des eigenen Verhaltens droht. Denn durch eine Video- und Tonaufzeichnung können Lebensvorgänge technisch fixiert und in der Folge abgerufen, aufbereitet und gegebenenfalls ausgewertet werden. Hierdurch können eine Vielzahl von Informationen über die Betroffenen, ihre Familienmitglieder, Freunde und Besucher gewonnen werden (BVerfG, Beschl. v. 23.02.2007, Az. I BvR 2368/06 = NVwZ 2007, 688, 690; AG Brandenburg, Urt. v. 22.02.2fü6, Az. 31 C 138/14 = BeckRS 2016, 1524.). Auch kann das durch die Überwachung gewonnene Material dazu genutzt werden, das Verhalten des Betroffenen zu beeinflussen, indem ‚belastendes‘ Material über ihn gesammelt wird (vgl. AG Brandenburg, Urt. v. 22.01.2016, Az. 31 C 138/14 = NJOZ 2017, 365, 367).“

Diese Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers sei auch rechtswidrig. Bei einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen würden die schutzwürdigen Belange des Klägers überwiegen.

Nach dem Vortrag der Beklagten liege kein konkreter Anlass vor, sich durch die Videoüberwachung vor Einbrüchen zu schützen. Und:

„Zudem ist zu bezweifeln, ob die Videokamera der Beklagten überhaupt eine abschreckende Wirkung hat und ihren angedachten Zweck erfüllen kann. Denn da sie sich lediglich über der Wohnungstür der Beklagten befindet und auch sonst nicht auf sie hingewiesen wird, hält sie potenzielle Einbrecher jedenfalls nicht davon ab, in das Mehrfamilienhaus hineinzugelangen.“

Auch die von den Beklagten zur Rechtfertigung angeführten nachbarschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Kläger könnten eine dauerhafte Überwachung des Hausflures nicht rechtfertigen. Den Beklagten sei zumutbar, künftige Auseinandersetzungen mit dem Kläger auf andere Weise zu vermeiden, beispielsweise durch eine Streitschlichtung.

_ Keine ausreichende Einwilligung in die Videoüberwachung

Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt in die Anfertigung von Video- und Tonaufzeichnungen eingewilligt. Auf eine Einwilligung der übrigen Mitbewohner komme es nicht an:

„Unerheblich ist demgegenüber, ob die übrigen Bewohner des Hauses oder die Wohnungseigentümer in die Anfertigung von Videoaufnahmen eingewilligt haben. Denn in eine Beeinträchtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts muss stets der Grundrechtsträger selbst einwilligen.“

_ Unterlassungsanspruch und Beseitigung der Kameraattrappe

Der Kläger könne auch die Beseitigung der Kameraattrappe verlangen:

„Auch die Kameraattrappe führt zu einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Denn auch bei einer tatsächlich nicht erfolgenden Überwachung kann der verbleibende Überwachungsdruck ausreichen, wenn entsprechende Verdachtsmomente vorliegen und eine Überwachung objektiv ernsthaft zu befürchten ist (LG Berlin, Urt. v. 28.10.2015, Az. 67 S 82/15 = ZD 2016, 189 f.; BGH, Urt. v. 16.03.2010, Az. VI ZR 176/09 = NJW 2fü0, 1533, 1534 Rn. 13). So ist es hier, denn es kann äußerlich nicht ohne weiteres erkannt werden, ob weiter eine bloße Attrappe oder eine Videokamera mit Aufzeichnungen betrieben wird. Es ist dem Kläger nicht möglich und auch nicht zumutbar, laufend die Gegebenheiten dahin zu überprüfen, ob es bei der Attrappe geblieben ist. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die derzeit installierte Kameraattrappe bereits täuschend echt aussieht und deshalb auch ohne weiteres durch eine echte Videokamera ersetzt werden kann, ohne dass dies auffällt.“

Welche Auswirkung hat das Urteil auf die Praxis?

Das Landgericht Essen stellt zunächst klar: Entscheidendes Beurteilungskriterium ist nicht, ob es sich um eine funktionstüchtige Videokamera handelt oder lediglich um eine Kameraattrappe. Entscheidendes Beurteilungskriterium ist vielmehr der Überwachungsdruck, der durch eine reelle oder auch nur vorgetäuschte Videoaufzeichnung ausgelöst ist.

Das Landgericht Essen verbietet die Installation einer Videokamera im Hausflur sodann nicht ohne Wenn und Aber. Schutz vor Einbruch und andere Sicherheitsbedenken können im Ausnahmefall eine Videoüberwachung rechtfertigen. Die Anforderungen hierfür sind aber streng. Eine nur abstrakte Einbruchsgefahr genügt nicht.

Schließlich: Die datenschutzrechtliche Einwilligung folgt nicht dem Mehrheitsprinzip, sondern dem Einstimmigkeitsprinzip – eine fehlende Einwilligung kann nicht durch die Einwilligung einer anderen Person ersetzt werden.

Kamera-Attrappen im Hausflur: weitere Gerichtsentscheidungen

Bereits mehrere Gerichte mussten sich mit der Frage beschäftigen, ob eine vorgetäuschte Videoüberwachung mittels Kameraattrappe in einem Mehrfamilienhaus zulässig ist. Die Tendenz geht momentan wohl in die Richtung, dass Mitbewohner sich die Videoüberwachung nicht aufzwingen lassen müssen.

Zwar entschied das Amtsgericht Berlin-Schöneberg noch mit Urteil vom 09.07.2014, Az. 102 C 160/14, dass ein Wohnungsmieter vom Vermieter nicht verlangen kann, eine im Hauseingang angebrachte Kameraattrappe zu beseitigen.

Inzwischen aber gibt es entgegengesetzte und mieterfreundliche Rechtsprechung aus Berlin: Das Landgericht Berlin entschied mit Beschluss vom 01.02.2018, Az. 67 S 305/17 sowie mit Urteil vom 14.08.2018, Az. 67 S 73/18, dass eine täuschend echte Kameraattrappe im Hauseingang unzulässig ist, wenn es weniger einschneidende Möglichkeiten gibt, das Eigentum zu schützen, so etwa durch funktionierende Schließanlagen oder eine zuverlässig und schnell ins Schloss fallende Eingangstür.

Auch das Amtsgericht Frankfurt am Main entschied bereits mit Urteil vom 29.01.2015, Az. 33 C 3407/14 (93), dass Mieter keine Attrappe einer Video-Überwachungskamera im Eingangsbereich und im Treppenhaus hinnehmen müssen.

Hollywood im Hausflur

Videokameras im Mehrfamilienhaus können nur die Ausnahme unter strengen Voraussetzungen sein. Es kommt auf alle Umstände des Einzelfalles an. Allgemeine und nur abstrakte Sicherheitsbedenken reichen nicht aus und immer muss überprüft werden, ob Alternativen zur Videoüberwachung in Frage kommen. Hemmungsloses Hollywood im Hausflur mit Videoaufnahmen, die unkontrolliert in einer Black Box verschwinden – das geht jedenfalls gar nicht.

 

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