Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit am 10.08.2012 veröffentlichten Beschluss vom 19.04.2012, Az. I ZB 80/11, zur Providerauskunft bei Filesharing: Internetprovider müssen Rechteinhabern auch dann Name und Anschrift des Inhabers einer IP-Adresse mitteilen, wenn über diesen Internetanschluss keine Urheberrechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß stattfand.
Was war geschehen?
Es geht um den urheberrechtlichen Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 9 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG. Mit Hilfe dieses Auskunftsanspruches bereiten Rechteinhaber regelmäßig eine Abmahnung bei Filesharing vor, indem sie sich vom Internetprovider mitteilen lassen, welcher Name und mit welcher Anschrift einer IP-Adresse zugeordnet war. Dieser Anschlussinhaber erhält dann die Abmahnung zugeschickt.
Die Antragstellerin erhielt von der Naidoo Records GmbH das ausschließliche Recht eingeräumt, die Tonaufnahmen des Albums „Alles kann besser werden“von Xavier Naidoo über Online-Tauschbörsen auszuwerten. Ein von der Antragstellerin beauftragtes Unternehmen ermittelte IP-Adressen, die Personen zugewiesen waren, die den Titel „Bitte hör nicht auf zu träumen“ des Albums „Alles kann besser werden“ im September 2011 über eine Online-Tauschbörse anderen Personen zum Herunterladen angeboten hatten. Die jeweiligen (dynamischen) IP-Adressen waren den Nutzern von der Deutschen Telekom AG als Internet-Provider zugewiesen worden.
Das Landgericht Köln lehnte den Auskunftsantrag der Antragstellerin ab.Die Beschwerde zum Oberlandesgericht Köln blieb ohne Erfolg geblieben. Das Oberlandesgericht Köln entschied, die begehrte Anordnung setze eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß voraus, die hinsichtlich des Musiktitels „Bitte hör nicht auf zu träumen“ nicht gegeben sei.
Wie entschied der BGH?
Der BGH hob die Entscheidungen der Kölner Gerichte auf und gab den Antrag statt.
Der Antrag setze kein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung voraus, sondern sei in aller Regel ohne weiteres begründet.
Aus dem Wortlaut der Bestimmung und der Systematik des Gesetzes ergebe sich eine solche Voraussetzung nicht. Sie widerspreche auch dem Ziel des Gesetzes, Rechtsverletzungen im Internet wirksam zu bekämpfen. Dem Rechtsinhaber stünden Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz nicht nur gegen einen im gewerblichen Ausmaß handelnden Verletzer, sondern gegen jeden Verletzer zu. Der Rechteinhaber sei faktisch schutzlos gestellt, soweit er bei Rechtsverletzungen, die kein gewerbliches Ausmaß aufweisen, keine Auskunft über den Namen und die Anschrift der Verletzer erhalten würde.
Welche Auswirkung hat die Entscheidung auf die Praxis?
Die Entscheidung des BGH lässt erwarten, dass die Anzahl der Filesharing-Abmahnungen wieder steigen wird. Der BGH entschied mit Urteil „Sommer unseres Lebens“ vom 12.05.2012, Az. I ZR 121/08, dass eine Vermutung besteht, wonach der Anschlussinhaber für Filesharing über seinen Internetzugang persönlich verantwortlich ist. Dieses Urteil in Kombination mit der Entscheidung vom 19.04.2012 haben zur Folge, dass die Hürden für eine erfolgreiche Filesharing-Abmahnung – und damit auch die Hürden, die Abmahnkosten geltend zu machen – nun sehr, sehr niedrig sind.
Die Entscheidung des BGH vom 19.04.2012, wonach die Rechtsverletzung kein gewerbliches Ausmaß haben muss, überzeugt inhaltlich nicht.
Die Gesetzesbegründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 16/5048 des Deutschen Bundestags vom vom 20.04.2007, S. 49, sah vor, dass die Rechtsverletzung im geschäftlichen Verkehr erfolgt. Auf eine Handlung im geschäftlichen Verkehr sollte in der Regel dann zu schließen sein, wenn ihr Ausmaß über das hinausgeht, was eine Nutzung zum privaten Gebrauch entspricht.
Die Gesetzesbegründung verlangte also eine doppelte Gewebsmäßigkeit: Nicht nur der Internetprovider muss seine Dienstleitung in gewerblichem Ausmaß erbringen, sondern auch der Teilnehmer an der Filesharing-Tauschbörse muss hierbei in gewerblichem Ausmaß handeln.
Der BGH ist in seiner Auslegung des Gesetzes, was er in seiner Urteilsbegründung auch vorträgt, nicht an die Gesetzesbegründung gebunden. Freilich zeigt der BGH damit auch, dass er dem Gesetzgeber die Gefolgschaft verweigert.
Statt die Voraussetzung einer doppelten gewerbsmäßigen Handlung zu stärken, hinterlässt die Entscheidung nur einen doppelt schalen Geschmack: Der BGH setzt sich über die Gesetzesbegündung hinweg. Das Gesetz wiederum setzt die Gesetztesbegündung sprachlich nicht präzise um und ermöglicht dem BGH so erst seine abweichende Meinung.