Filesharing-Beschluss aus Bielefeld: Verjährung und mehr

Verjährungsfrist, Verjährungshemmung und Streitwert bei Filesharing-Klagen – das Landgericht Bielefeld erteilte mit Beschluss vom 06.02.2015, Az. 20 S 65/14, folgende Hinweise: Auch für den Lizenzschaden gilt die 3-jährige Regelverjährung nach § 195 BGB. Die Verjährung wird durch den Mahnbescheid nicht gehemmt, wenn dort der Lizenzschaden zusammen mit den Abmahnkosten geltend gemacht wird, diese beiden rechtlich selbständigen Einzelforderungen aber nicht aufgeschlüsselt sind. Die isolierte Geltendmachung der Abmahnkosten ist unzulässig, wenn die abmahnende Partei den Unterlassungsanspruch als solchen nach einer erfolglosen Abmahnung ohne nachvollziehbaren Grund nicht weiter verfolgt.

Was war geschehen?

Die Klägerin hatte mit Abmahnschreiben vom 12.01.2010 erfolglos die Verbreitung eines Films über eine P2P-Tauschbörse am 05.11.2009 abgemahnt – der Beklagte hatte weder eine Unterlassungserklärung abgegeben noch gezahlt. Darauf hin beantragte die Klägerin gegen den Beklagten den Mahnbescheid über Abmahnkosten und Lizenz-Schadensersatz. Hierbei gab die Klägerin aber nur einen Gesamtbetrag an, ohne näher aufzuschlüsseln, welcher Anteil auf die Abmahnkosten und welcher Anteil auf den Lizenz-Schadensersatz anfallen sollte. Der Beklagte legte gegen den Mahnbescheid Widerspruch ein. Die Klägerin gab nicht auf – sie zwang den Beklagten in das streitige Verfahren vor dem Amtsgericht Bielefeld. Das Amtsgericht Bielefeld wies die Klage mit Urteil vom 24.04.2014 ab. Die Klägerin legte Berufung zum Landgericht Bielefeld ein.

Wie entschied das Landgericht Bielefeld in seinem Hinweisbeschluss?

Das Landgericht Bielefeld gab der Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Das Amtsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Ein Lizenz-Schadensersatzanspruch aus § 97 UrhG sei jedenfalls verjährt. Ein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten nach § 97a UrhG sei bereits unbegründet. Der Streitwert von 30.000 €, nach dem die Klägerin ihre Abmahnkosten berechnete, sei überdies deutlich zu hoch angesetzt.

Verjährung bei Filesharing

Für den Lizenz-Schadensersatzanspruch gelte die 3-jährige Regelverjährungsfrist des § 195 BGB. §§ 102 S. 2 UrhG, 852 BGB mit ihrer 10-jährigen Verjährungsfrist seien nicht anzuwenden.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs „Bochumer Weihnachtsmarkt“ vom 27.10.2011, Az. I ZR 175/10, sei hier nicht einschlägig:

„Dort ging es in der Sache um eine unterlassene, aber grundsätzlich mögliche Einholung der Erlaubnis der dortigen Klägerin für die vorgenommene Nutzung von Musikwerken im Rahmen einer Freiluftveranstaltung, aufgrund derer im Wege des Schadensersatzes nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie die ersparte Tarifvergütung zu entrichten war. Grundlage dieser Entscheidung war jedoch, dass die Wahrnehmung der maßgeblichen Urheberrechte typischerweise nur gegen eine Lizenzgebühr eingeräumt wird, indem die Rechtswahrnehmung bei der Klägerin als Verwertungsgesellschaft zu lizensieren war.
Vorliegend liegen die tatsächlichen Verhältnisse allerdings grundlegend anders. Während die Verwertungsgesellschaft GEMA es einem Nutzer ermöglicht, einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag über die von ihm gewünschte Musiknutzung abzuschließen, besteht in Filesharingangelegenheiten eine solche Möglichkeit nach dem Vorbringen der Klägerin nicht. Vorliegend hätte der Beklagte daher – wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat – selbst dann, wenn er dies gewollt hätte, mit der Zedentin keinen urheberrechtlichen Lizenzvertrag über eine Weiterverbreitung des gegenständlichen Filmwerks im Rahmen eines Filesharing-Systems schließen können. Auch liegt der Hauptzweck des typischen Nutzers einer Internettauschbörse darin, das Film- oder Musikwerk zu erhalten und nicht in dessen darüber hinausgehender Verbreitung. Hierfür wäre aber auch bei einer legalen Vorgehensweise gerade keine Lizenzgebühr, sondern allenfalls der übliche Verkaufspreis etwa einer DVD gezahlt worden…“

Keine Verjährungshemmung bei unklarem Mahnbescheid

Die Verjährung des Schadensersatzanspruchs sei nicht nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB in Verbindung mit § 167 ZPO durch den Mahnbescheid gehemmt worden.

Der Mahnbescheid zeige Mängel der Anspruchsbezeichnung, die einer verjährungshemmenden Wirkung seiner Zustellung entgegenstehen.

Mache der Antragsteller mit seinem Mahnbescheid eine Mehrzahl von Einzelforderungen geltend, müsse er den angegebenen Gesamtbetrag bereits im Mahnbescheid derart aufschlüsseln, dass der Antragsgegner dessen Zusammensetzung aus für ihn unterscheidbaren Ansprüchen erkennen könne. Die Einzelforderungen müssten dann nach Individualisierungsmerkmalen und Betrag bestimmt sein. Der Schuldner müsse beurteilen können, ob und in welchem Umfang er sich zur Wehr setzen wolle. Diesen Anforderungen entspreche der vorliegende Mahnbescheid nicht:

„Die im Mahnbescheidsantrag enthaltene Beschreibung des geltend gemachten Anspruchs war vielmehr ungeeignet, Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Titels zu sein. Seitens der Klägerin wurde sowohl Schadensersatz gemäß § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG als auch Aufwendungsersatz gemäß § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG a.F. geltend gemacht. Dem Beklagten war es vorliegend jedoch nicht möglich, allein aufgrund der Bezeichnung des im Mahnverfahren einheitlich geltend gemachten Anspruchs als ‚Schadenersatz aus Unfall/Vorfall gem. Schadenersatz (Fileshari 6800 vom 05.11.09‘ zu erkennen, welche konkreten Ansprüche in jeweils welcher Höhe gegen ihn geltend gemacht werden. Es war daraus schon nicht erkennbar, dass überhaupt zwei unterschiedliche Ansprüche geltend gemacht werden. Auf ein weiterführendes Anspruchsschreiben – welches für die Konkretisierung gegebenenfalls zu berücksichtigen wäre – wird in dem Mahnbescheid nicht verwiesen. Soweit man das dem Beklagten bei Zustellung des Mahnbescheids bereits bekannte Abmahnschreiben vom 12.01.2010 für eine Konkretisierung heranziehen wollte, so ergibt sich auch daraus weder eine Aufschlüsselung des mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Betrags in Höhe von 1.298,00 €, noch wird dieser überhaupt darin genannt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen, welches im erstinstanzlichen Urteil klar herausgestellt hat, dass und inwieweit diverse betragsmäßig voneinander abweichende Zahlbeträge genannt worden sind.“

Eine rückwirkende Heilung durch eine nachträgliche Individualisierung der Klageforderung nach Ablauf der Verjährungsfrist komme nicht in Betracht.

Keine isolierte Klage auf Ersatz der Abmahnkosten

Die Klägerin könne keinen Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten geltend machen. Die Abmahnung sei nicht berechtigt gewesen:

„Die isolierte Geltendmachung der Abmahnkosten ist unzulässig bzw. die Abmahnung nicht berechtigt, da für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung nicht notwendig, wenn der Abmahnende bei einer erfolglos gebliebenen Abmahnung – d. h. die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung wird abgelehnt – seinen Unterlassungsanspruch nicht weiter verfolgt, ohne für die nachträgliche Abstandnahme einen nachvollziehbaren Grund anzuführen…“

Es sei offensichtlich, dass der Beklagte nicht bereit sei, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Trotzdem sei gegen den Beklagten keine Unterlassungsklage erhoben worden. Ein plausibler Grund hierfür sei nicht genannt worden.

„An einer berechtigten Abmahnung fehlt es in Fällen wie diesen. Berechtigt ist eine Abmahnung dann, wenn sie objektiv erforderlich ist, um dem Abgemahnten den kostengünstigen Weg aus dem Konflikt zu zeigen bzw. wenn sie notwendig ist, um den Streit ohne ein gerichtliches Verfahren zu beenden. Droht jedoch letztlich gar kein Unterlassungsprozess, kann die Abmahnung diesen auch nicht vermeiden helfen und ist daher nicht berechtigt. Aus dem seit dem Abmahnschreiben vom 12.01.2010 eingetretenen Zeitablauf sowie dem Umstand, dass der Vorgang im Anschluss erst im Dezember 2012 seitens der Zedentin weiterverfolgt worden ist, wird offenbar, dass dem Beklagten eine Inanspruchnahme auf Unterlassung der angegriffenen Urheberrechtsverletzung niemals ernsthaft drohte und damit die Abmahnung nicht darauf gerichtet war, einen Unterlassungsprozess zu vermeiden.“

Abmahnkosten bei Filesharing – Streitwert des Unterlassungsanspruchs

Die Klägerin habe den Streitwert für ihr Unterlassungsbegehren mit 30.000 € deutlich zu hoch angesetzt. Allenfalls sei für die Berechnung der Abmahnkosten ein Streitwert von 3.000 € bzw. max. 6.000 € angemessen. Dies gelte nicht zuletzt auch, weil nach dem Vorbringen der Klägerin offenbar nur Teil der Filmdatei zum Download zur Verfügung gestanden habe.

Welche Auswirkung hat der Hinweisbeschluss auf die Praxis bei der Filesharing-Rechtsverteidigung?

Mit der Planierraupe quer durch’s Filesharing-Schlaraffenland – die Erwägungen der Bielefelder Berufungskammer sind eine deutliche Absage an den Versuch der Abmahnszene, aus Filesharing-Altfällen im Wege des Gerichtsverfahrens noch Geld herauszuquetschen: Hier rächt sich nun die seinerzeit beliebte Methode, in den Abmahnschreiben Angst und Schrecken zu verbreiten statt juristisch zu argumentieren und obskure Pauschalangebote zu unterbreiten, anstatt die behaupteten Geldforderungen konkret zu beziffern. Auch wenn es manche anders behaupten: Möglichst lange ungenau zu bleiben, ist eben doch nicht die hohe juristische Kunst.

Der Hinweisbeschluss des Landgerichts Bielefeld ist über die Rechtsprechungsdatenbank Nordrhein-Westfalen im Volltext →hier abrufbar.