Urteil: Störerhaftung bei Filesharing durch erwachsene Nichte

Filesharing und Störerhaftung, wenn der erwachsene Besuch gegen Urheberrecht verstößt – das Landgericht Hamburg entschied mit Urteil vom 20.03.2015, Az. 310 S 23/14: Die erwachsene Nichte und deren Lebensgefährte zählen nicht zu den Familienangehörigen im Sinne der „BearShare“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Die Inhaberin des Internetanschlusses verletzt eine zumutbare Prüfungspflicht, wenn sie ihren Besuch nicht darüber belehrt, dass diese keine P2P-Tauschbörsen für den illegalen Bezug urheberrechtlich geschützter Werke nutzen dürfen. Die Anschlussinhaberin haftet deshalb als Störerin. Hat das Landgericht Hamburg damit wirklich recht?

Was war geschehen?

Die spätere Beklagte hatte Besuch – die volljährige Tochter ihrer Schwester, also ihre Nichte, und deren Lebensgefährte waren aus Australien nach Deutschland gekommen. Die beiden gingen über den Internet-Anschluss der Beklagten online und machten über eine Filesharing-Tauschbörse einen Film öffentlich zugänglich. Die Beklagte erhielt eine Abmahnung. Sie weigerte sich, die Abmahnkosten zu ersetzen – und wurde verklagt. Zunächst hatte die Beklagte vor dem Amtsgericht Hamburg Erfolg. Gegen dessen Urteil vom 08.07.2014, Az. 25b C 887/13, legte die unterlegene Klägerin Berufung zum Landgericht Hamburg ein.

Wie entschied das Landgericht Hamburg?

Das Landgericht Hamburg verurteilte die Beklagte, Abmahnkosten in Höhe von 755,80 € nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte hafte als Störerin. Sie habe eine zumutbare Verhaltenspflicht verletzt. Sie habe weder ihre Nichte noch deren Lebensgefährten darauf hingewiesen, dass eine Nutzung von sogenannten Internet-Tauschbörsen zu illegalen Bezug urheberrechtlich geschützten Materials wie insbesondere Filmen, Musik, Computerspielen, zu unterbleiben habe. Vor der Überlassung des Internetanschlusses an einen volljährigen Dritten, der nicht als Familienangehöriger anzusehen sei, sei eine entsprechende Belehrung durch den Anschlussinhaber geboten und zumutbar.

Der Bundesgerichtshof habe in seinem Urteil „BearShare“ vom 08.01.2014, Az. I ZR 169/12, eine Belehrungspflicht des Anschlussinhabers bei Überlassung seines Internetanschlusses an ihm nahestehende volljährige Personen wie etwa Freunde oder Mitbewohner, die nicht Familienangehörige sind, nicht abgelehnt. Vielmehr habe der Bundesgerichtshof diese Frage ausdrücklich offen gelassen.

Wörtlich aus den Urteilsgründen:

„Eine solche Belehrungspflicht stellt keine unzumutbare Belastung des Anschlussinhabers dar. Sie entspricht der nach Ansicht des BGH gebotenen Belehrung des minderjährigen Kindes und übersteigt ebenfalls nicht die Belastung, die einem Betreiber eines WL-AN-Anschlusses durch die vom BGH auferlegte Pflicht zur Einstellung eines sicheren Passworts für den Zugang zum Router entsteht.
Eine Nutzung eines überlassenen Internetanschlusses zu rechtswidrigem Filesharing ist auch keine ganz fernliegende Nutzung, an die der Anschlussinhaber nicht zu denken brauchte.
(…)
Die Nichte der Beklagten und deren Lebensgefährte sind auch nicht als ‚Familienangehörige‘ der Beklagten anzusehen, in Bezug auf die nach der Rechtsprechung des BGH eine Belehrungspflicht nicht bestünde.“

Alleine die Volljährigkeit des Nutzers und eine daraus folgende Eigenverantwortlichkeit reichten nicht aus, um eine Belehrungspflicht des Anschlussinhabers entfallen zu lassen.

Weiter aus den Urteilsgründen:

„Denn dann hätte der BGH ohne weiteres unter Hinweis auf die Eigenverantwortlichkeit Volljähriger feststellen können, dass auch dem Anschlussinhaber ’nahestehende volljährige Personen wie etwa Freunde oder Mitbewohner‘ grundsätzlich nicht vor einer Überlassung des Internetanschlusses zu belehren sind. Das hat der BGH jedoch ausdrücklich offen gelassen (…).
Vielmehr stellt der BGH maßgeblich auf ‚Familienangehörigkeit‘, ‚familiäre Verbundenheit‘ und ‚das – auch grundrechtlich geschützte (Art. 6 Abs. 1 GG) – besondere Vertrauensverhältnis zwischen Familienangehörigen‘ ab. Positiv entschieden hat der BGH in der vorgenannten Entscheidung nur, dass keine Belehrungspflicht besteht zwischen Ehepartnern sowie zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern bzw. zwischen Stiefeltern und ihren volljährigen Stiefkindern (…).
Hierunter fallen die Nichte und deren Lebensgefährte im Verhältnis zur Beklagten nicht.“

Die Nichte der Beklagten und deren Lebensgefährte fielen nach Ansicht des Gerichts auch nicht unter den Begriff „Familienangehörige“. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 GG sei die Familie die umfassende Gemeinschaft von Eltern und deren Kindern. Das Verhältnis zwischen der Beklagten und ihre Nichte – also das Verhältnis zwischen der Beklagten und dem Kind ihrer Schwester – falle nicht unter den Familienbegriff des Art. 6 GG. Es könne auch nicht darauf ankommen, ob zwischen der Beklagten und ihre Nichte ein Vertrauensverhältnis wie zwischen Eltern und ihren Kindern bestehe.

Das Landgericht ließ die Revision gegen das Urteil zu.

Kritik: Verwandschaftsverhältnis, Belehrungspflicht, BearShare und das Urteil aus Hamburg

Was ist der Maßstab dafür, ob und wie intensiv ein Anschlussinhaber seinen erwachsenen Besuch über das Verbot belehren muss, über den Internet-Anschluss illegales Filesharing zu betreiben? Ist das Alter des Besuchs das entscheidende Kriterium oder ist die verwandtschaftliche Nähe das entscheidende Kriterium?

Das Landgericht Hamburg meint: nicht das Alter ist das entscheidende Kriterium, sondern der Grad der verwandtschaftlichen Beziehungen – nur im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern soll nach Auffassung des Landgerichts Hamburg ein besonderes Haftungsprivileg gelten.

Zur Begründung stützt sich das Landgericht Hamburg darauf, der Bundesgerichtshof habe in seinem „BearShare“-Urteil die Störerhaftung des Anschlussinhabers über das Eltern-Kind-Verhältnis hinaus nicht zugleich für Rechtsverletzungen anderer erwachsener Personen ausgeschlossen.

Aber lässt sich hieraus wirklich der Umkehrschluss ziehen, der Bundesgerichtshof habe mit seiner „BearShare“-Entscheidung eine Belehrungspflicht gegenüber anderem erwachsenen Besuc der sich bei dem Anschlussinhaber aufhälten und dessen Internet-Anschluss mit benutzen darf, gerade bejaht?

Eine solche Schlussfolgerung ist jedenfalls nicht zwingend. Der Bundesgerichtshof hatte in seiner Revisionsentscheidung „BearShare“ über die Störerhaftung des Anschlussinhabers in einer ganz konkreten Sachverhaltskonstellation zu entscheiden: Es ging um die Frage, ob und in welchem Umfang Eltern als Anschlussinhaber verpflichtet sind, die Internet-Aktivitäten ihres 13-jährigen Kindes zu überwachen. Die Frage, ob und in welchem Umfang eine Belehrungspflicht gegenüber anderen Personen, noch dazu erwachsenen Personen besteht, musste dort nicht beantwortet werden – solche Personen waren an dem „BearShare“-Verfahren nicht als Filesharing-Täter beteiligt. Und genau deswegen konnte der Bundesgerichtshof in seiner Urteilsbegründung auch feststellen, die Frage müsse nicht entschieden werden.

Betrachtet man die Erwägungen des Bundesgerichtshofs in seiner Urteilsbegründung näher, so scheint es entgegen der Auffassung der Hamburger Richter eher wahrscheinlich, dass das entscheidende Kriterium das Alter und nicht die familiäre Nähe ist – jedenfalls, wenn man auch den tatsächlichen Streitgegenstand der „BearShare“-Entscheidung, den konkreten, dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt, mit im Auge behält.

Der Bundesgerichtshof wörtlich:

„Ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen eine Verhinderung der Verletzungshandlung des Dritten zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat (…) Danach ist bei der Überlassung eines Internetanschlusses an volljährige Familienangehörige zu berücksichtigen, dass zum einen die Überlassung durch den Anschlussinhaber auf familiärer Verbundenheit beruht und zum anderen Volljährige für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind.“

Das Landgericht Hamburg zitiert die Passage in seiner Urteilsbegründung im Wortlaut…

Ausdrücklich lässt der Bundesgerichtshof offen, wie weit, bis zu welchem Grad der Verwandtschaft und gegenüberwelchen weiteren Personen, das Privileg des Anschlussinhabers reichen soll, erwachsenen Besuch nicht belehren und überwachen zu müssen, solange hierzu kein besonderer Anlass besteht. Aber sogar mehrfach betont der Bundesgerichtshof, dass erwachsene Personen für ihre Handlungen selbst verantwortlich sind.

So spricht einiges dafür, dass das Alter das entscheidende Kriterium ist – und die Hamburger Richter die Erwägungen des Bundesgerichtshofs nicht richtig interpretiert haben. Rechtliche Eigenverantwortlichkeit statt Blutsbande als Maßstab der Belehrungspflicht.