Sky-Kontrolleur im Hotel, öffentliche Fernseh-Wiedergabe und heimliche Videoaufzeichnung – das Landgericht München I entschied mit mittlerweile rechtskräftigem Urteil vom 10.06.2016, Aktenzeichen 21 O 17671/15: Ein Hotelbetreiber, der im Beisein seiner Familie und eines Freundes am Hotel-Empfang einen Fernseher laufen lässt, gibt das Fernsehprogramm nicht öffentlich wieder, wenn im übrigen keine Hotelgäste anwesend sind. Eine von einem Sky-Kontrolleur bei seinem Kontrollbesuch mit versteckter Kamera heimlich angefertigte Videoaufnahme unterliegt einem Beweisverwertungsverbot.
Inhalt
Sky-Kontrolle im Hotel – worum ging es?
Der von Rechtsanwalt Stefan Loebisch vertretene Beklagte betrieb ein Hotel. Der Sohn des Beklagten hatte bei dem Pay-TV-Anbieter Sky einen Privatkundenvertrag abgeschlossen. Der Beklagte, seine Ehefrau, sein Sohn und ein Freund der Familie waren im Eingangsbereich des Hotels mit der Dekoration beschäftigt. Weitere Gäste waren nicht anwesend – dieser Umstand sollte genutzt werden, um mit den Dekorationsarbeiten niemanden zu stören. Um bei der Arbeit Unterhaltung zu haben, stellte die Familie am Hotel-Empfang den Fernseher auf und ließ die Sky-Bundesliga-Übertragung laufen. Plötzlich betrat eine unbekannte Person das Hotel, erkundigte sich nach der nächsten Tankstelle und bat, die Toilette benutzen zu dürfen. Nach etwa 2 Minuten verließ diese Person das Hotel wieder.
Bald darauf flatterte eine urheberrechtliche Abmahnung ins Haus: Bei der unbekannten Person handelte es sich um einen Sky-Kontrolleur. Dieser Kontrolleur war mit der Aufgabe losgeschickt worden war, unerkannt zu kontrollieren, ob in Hotels und Gaststätten das Sky-Fernsehprogramm lief, ohne dass die Betreiber einen Sky-Lizenzvertrag für das Gastgewerbe abgeschlossen hatten. Mit der Abmahnung forderte Sky den späteren Beklagten unter anderem auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben, die Abmahnkosten zu ersetzen und Schadensersatz zu zahlen. Der Beklagte gab zwar – ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht – die Unterlassungserklärung ab, verweigerte aber jede Zahlung. Sky erhob Klage vor dem Landgericht München I.
Im Prozess bot Sky überraschend Videobeweis an: Es stellte sich heraus, dass der Kontrolleur bei seinem Besuch eine versteckte Kamera mit sich führte und auf diese Weise aufzeichnete, was er im Hotel sah. Gegen diese heimliche Videoaufzeichnung verteidigte sich der Beklagte mit dem Einwand, durch die Filmaufnahmen in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt worden zu sein mit der Folge, dass der Videoaufnahme mit versteckter Kamera ein Beweisverwertungsverbot entgegen stehe.
Öffentliche Fernseh-Wiedergabe und heimliche Videoaufzeichnung – wie entschied das Gericht?
Das Landgericht München I wies die Klage von Sky ab. Der Hotelbetreiber habe das Fernsehprogramm nicht öffentlich wiedergegeben, und für einen Beweis des angeblichen Gegenteils habe die Videoaufzeichnung nicht verwertet werden dürfen.
_ Familienmitglieder und Freunde in den Betriebsräumen gehören nicht zur Öffentlichkeit
Der Beklagte habe das Fernsehprogramm nicht im Sinne des Urheberrechts öffentlich wiedergegeben, nur weil er den Fernseher im Bereich der Hotel-Rezeption habe laufen lassen. Nach den EuGH-Entscheidungen „SCF/Del Corso“ (Urteil vom 15.03.2012, Az. C-135/10), „Phonographic Performance (Ireland) Limited/Ireland“ (Urteil vom 15.03.2012, Az. C-162/10), „ITV Broadcasting/TVC“ (Urteil vom 07.03.2013, Az. C-607/11, „Svensson/Retriever Sverige“ (Urteil vom 13.02.2014, Az. C-466/12) und „OSA/ Léčebné lázně Mariánské lázně“ (Urteil vom 27.04.2014, Az. C-351/12) setze der Begriff der „Öffentlichkeit“ eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten und eine ziemlich große Zahl von Personen bzw. „recht viele Personen“ voraus.
Es habe bereits keine Wiedergabe vorgelegen, die an eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten gerichtet war:
„Zwar handelt es sich bei der streitgegenständlichen Betriebsstätte um eine öffentliche Gaststätte, die auch geöffnet war und keine Anzeichen einer ‚geschlossenen Gesellschaft‘ aufwies. Der Beklagte hat jedoch vorgetragen, dass die Ausstrahlung der streitgegenständlichen Sendung nur der privaten Unterhaltung der Familie und des befreundeten Jugendlichen gedient hätte und er den Fernseher ausgeschaltet hätte, sobald ein Gast die Betriebsstätte besucht hätte. Nach dem Vortrag des Beklagten war daher die Ausstrahlung der Bundesligasendung nicht an eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten gerichtet. Die Beweislast, dass die Ausstrahlung an eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten gerichtet war, trägt die Klägerin (Beck0K-UrhR-Kroitzsch/Götting , a.a.O., § 15 UrhG Rn. 25), die hierzu jedoch kein Beweisangebot gemacht hat und insoweit beweisfällig geblieben ist.“
Auch der Besuch des Sky-Kontrolleurs habe hieran nichts geändert:
„Soweit die Klägerin sich auf den Standpunkt stellt, die Behauptung des Beklagten er hätte den Fernseher ausgeschaltet sobald ein Gast den Gastraum betreten hätte sei durch sein eigenes Verhalten widerlegt, da der Beklagte den Fernseher nicht sofort abschaltet habe, als der Kontrolleur den Raum betreten hat, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg. Der Kontrolleur hat sich nach eigenem Vortrag der Klägerin lediglich für zwei Minuten in den streitgegenständlichen Räumlichkeit aufgehalten, um – insoweit unstreitig – nach einer Tankstelle zu fragen und die Toilette aufzusuchen. Entsprechend hat der Kontrolleur unstreitig keine Bestellung aufgegeben oder ein Getränk oder ähnliche konsumiert. Der Kontrolleur betrat den Gastraum damit nicht als Gast. In dieser Situation kann ein Abschalten vom Beklagten nicht erwartet werden.“
Es habe sich auch nicht um eine Wiedergabe gegenüber „recht vielen Personen“ bzw. einer „Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit“ im Sinne des EuGH-Urteils gehandelt. Für die Tatsache, dass die anwesenden Personen rechtlich als „Mitglieder der Öffentlichkeit“ anzusehen seien, sei die Klägerin beweisbelastet gewesen, habe aber den Beweis nicht erbringen können:
„Soweit der Kläger zunächst vorgetragen hat, es haben sich drei Gäste im Gastraum befunden, hat der Beklagte vorgetragen, dass es sich hierbei um seine Ehefrau, seinen Sohn und einen befreundeten Jugendlichen gehandelt habe, somit um Personen die sämtlich durch persönliche Beziehung mit dem Beklagten verbunden sind und daher nicht zur Öffentlichkeit zählen. Soweit die Klägerin den Vortrag des Beklagten bestritten hat, ist dies unbehelflich. Die Klägerin ist für die fehlende persönliche Verbundenheit beweisbelastet (vgl. oben). Ein entsprechendes Beweisangebot hat sie jedoch nicht unterbreitet und ist daher beweisfällig geblieben.“
Ein einzelner Kontrolleur mache noch keine Öffentlichkeit:
„Dies zugrunde gelegt, bleibt als Öffentlichkeit nur der Kontrolleur übrig, der alleine jedoch weder nach Ansicht des BGH ‚eine Mehrzahl an Mitgliedern der Öffentlichkeit‘ i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG noch nach den Anforderungen des EugHs ‚recht viele Personen‘ darstellt.“
_ Videoaufzeichnung unterliegt Beweisverwertungsverbot
„Das von der Klägerin zum Beweis angebotene Kontrollvideo (…) unterliegt einem Beweisverwertungsverbot, weil es rechtswidrig in Persönlichkeitsrechte des Beklagten eingreift.
Das Recht am eigenen Bild stellt eine besondere Form des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar (vgl. BGH, NJW 1995, 1955 [1956]; BAG, NJW 2005, 313 [314]). Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen (vgl. auch OLG Köln, NJW 2005, 2997 [2998]). Bereits die Herstellung von Videoaufzeichnungen ohne Einwilligung des Abgebildeten stellt deshalb einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar (BGH, NJW 1995, 1955 [1956]; BAG, NJW 2005, 313 [314]). 21 0 17671/15.
Dieser Eingriff in das allgemeine Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht des Beklagten ist rechtswidrig. Bei der Beantwortung der Frage nach der Rechtswidrigkeit einer heimlich angefertigten Videoaufzeichnung ist eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls notwendig. Es ist unter Berücksichtigung aller rechtlich geschützten Positionen der Beteiligten eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen (BGH, NJW 1995, 1955 [1957]).
Dem Persönlichkeitsrecht des Beklagten steht das berechtigte Interesse der Klägerin an der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen zur Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber. Ein Überwiegen der Interessen der Klägerin, das den Eingriff rechtfertigen würde, ist hier abzulehnen. Der BGH hat in einem Urteil bezüglich eines Wettbewerbsverstoßes ausgeführt, dass eine heimliche Fotoaufzeichnung unter anderem dann gerechtfertigt sein könne, wenn eine Rechtsverletzung nur durch diese Aufnahmen hinreichend bestimmt dargelegt und bewiesen werden könnte (BGH, NJW-RR 2007, 1355). Der vorliegende Fall unterscheidet sich aber deutlich von der damaligen Konstellation, weil hier die heimliche Videoaufnahme gerade nicht erforderlich war, um die angebliche Rechtsverletzung zu dokumentieren. Zur Dokumentation genügten die Beobachtungen des Kontrolleurs (Name), insbesondere angesichts der Tatsache, dass er die Kamera verdeckt bei sich trug und somit die Videoaufzeichnung keine über seine Wahrnehmung hinausgehenden Erkenntnisse liefern könnte.“
Welche Auswirkung hat das Urteil auf die Praxis?
Das Recht am eigenen Bild als Bestandteil des verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist ein hohes Rechtsgut. Niemand möchte heimlich fotografiert und noch weniger gefilmt werden. Hier waren lediglich einige wenige Leute von der heimlichen Videoaufnahme betroffen – der Beklagte, seine Familie und der Bekannte. Warum aber erfolgte die heimliche Videoaufnahme? Offenkundig um zu beweisen, dass das Sky-Fernsehprogramm öffentlich wiedergegeben wurde – also vor einer Vielzahl von Hotelgästen. Nicht nur der Beklagte und seine Familie sollten also gefilmt werden, sondern „recht viele“ (um nochmals die EuGH-Urteile zu bemühen) der anwesenden Hotelgäste gleich mit – wenn sie denn anwesend gewesen wären. Das ist sicherlich eine tolle Werbung für jeden Hotelier: „In meinem Hotel müssen Sie jederzeit damit rechnen, im Empfangsbereich oder im Speisesaal heimlich gefilmt zu werden.“ Vergleiche mit Geheimdienst-Praktiken sollen hier nicht angestellt werden.
Jedenfalls trägt das Urteil zur Waffengleichheit bei. Es ist zu hoffen, dass es sich bei dieser Überwachungspraktik von Sky um einen einmaligen Ausrutscher handelte. Die Berufung gegen das Urteil wurde von der Klägerin zurückgenommen.
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