Zur Störerhaftung der Eltern und zu deren Aufsichtspflicht bei Filesharing entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 15.11.2012, Az. I ZR 74/12: Eltern haften für das illegale Filesharing ihres 13-jährigen Kindes grundsätzlich nicht, wenn sie das Kind über das Verbot einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehrten und keine Anhaltspunkte dafür hatten, dass ihr Kind diesem Verbot zuwiderhandelt. Können Eltern nun nicht mehr abgemahnt werden? Wurden Eltern in der Vergangenheit zu Unrecht abgemahnt, wenn ihre Kinder Songs und Videos per Filesharing tauschten? Was ist mit den Unterlassungserklärungen der Vergangenheit?
Inhalt
Wie urteilte der Bundesgerichtshof?
Das Urteil des BGH vom 15.11.2012 wurde bereits →hier kommentiert. Viele abgemahnte Anschlussinhaber gaben in der Vergangenheit eine Unterlassungserklärung ab, obwohl nicht sie selbst, sondern ihre halbwüchsigen Kinder gegen das Urheberrecht verstoßen hatten: Sie, die Kinder, hatten auf einem Rechner einen Filesharing-Client installiert. In vielen Fällen installierten die Kinder das Filesharing-Programm, ohne dass die Eltern es bemerkten. Erst, als die Abmahnung im Briefkasten lag, bemerkten die Eltern, was geschehen war.
Ist mit dem Urteil des BGH vom 15.11.2012 nun jeder solchen Abmahnung und jeder deswegen abgegebenen Unterlassungserklärung die Grundlage entzogen?
Eine endgültige Einschätzung ist wohl erst möglich, wenn die schriftliche Urteilsbegründung des BGH vorliegt. Nach einer ersten Einschätzung anhand der Presseerklärung gilt wohl die juristische Standard-Antwort: „Es kommt darauf an.“
Worauf kommt es an? Auf die Umstände des Einzelfalles: So etwa auf das Alter des Kindes und auf dessen bisheriges Verhalten – ob das Kind früher bereits Anlass zur Sorge gab, sich an verbotenen Praktiken im Internet wie etwa Filesharing zu beteiligen.
Wörtlich aus der Presserklärung der BGH-Pressestelle:
„Nach Ansicht des BGH genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes 13-jähriges Kindes, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über das Verbot einer rechtswidrigen Teilnahme an Internettauschbörsen belehren. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internet durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern – so der BGH – erst verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben.“
Entscheidungskriterien des BGH
Ein „normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt“ und (keine) „konkrete(n) Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind“ – auf diesen zwei Kriterien fußte nach der Presseerklärung die Entscheidung der BGH-Richter, dass die abgemahnten Inhaber des Internetanschlusses, die Eltern, nicht für die Filesharing-Aktivitäten ihres Sohnes verantwortlich gemacht werden konnten.
Überdurchschnittliche Absicherung des Rechners durch die Eltern
Aus den Entscheidungsgründen der erst- und zweitinstanzlichen Urteile in diesem Fall – Landgericht Köln, Urteil vom 30.03.2011, Az. 28 O 716/10 und Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 23.03.2012, Az. 6 U 67/11 – ergibt sich weiter, das die beklagten Eltern den Rechner ihres Sohnes überdurchschnittlich abgesichert hatten: Dem Sohn hatte offenbar keine Administratorenrechte für sein Windows-Benutzerkonto. Zusätzlich war eine Firewall installiert. So sollte – und konnte unter normalen Umständen – ausgeschlossen werden, dass der Sohn selbständig und ohne Zustimmung seiner Eltern Programme auf seinem Rechner installieren würde. Dennoch gelang es dem Sohn der beklagten Anschlussinhaber, diese Sicherungen zu umgehen und Filesharing-Software zu installieren.
Was ist mit den Unterlassungserklärungen der Vergangenheit?
Wie gesagt: Erst einmal gilt es, die schriftliche Urtteilsbegründung abzuwarten. Erst aus ihr lassen sich die Bewertungsmaßsstäbe des BGH verbindlich herauslesen. Wenn die Urteilsbegründung das umsetzt, was die Presseerklärung anführt, lohnt es sich, die eine oder andere Unterlassungserklärung der Vergangenheit zu überprüfen, speziell in Fällen, in denen das Kind zu dem in der Abmahnung angegebenen Download-Zeitpunkt
- in einem Alter war, in dem der Computer – wie der Taschenrechner – mittlerweile einfach dazugehört,
- ganz allgemein gesprochen auf seine Eltern hört
- und darüber hinaus keine Anhaltspunkte für unerlaubte Filesharing-Aktivitäten (wie etwa im Extremfall eine frühere Abmahnung…) ersichtlich waren
und zusätzlich der Rechner nicht für jeden Benutzer frei zugänglich war, vor allem für das Kind ein eigenes benutzerkonto ohne Administratorenrechte eingerichtet war.
Dann kann daran gedacht werden, eine bereits abgegebene Unterlassungserklärung zu kündigen und vielleicht sogar bereits bezahlte Abmahnkosten zurück zu fordern.