Vorratsdatenspeicherung mit Hellseherfunktion?

Die Vorratsdatenspeicherung soll also kommen. Netzpolitik.org verlinkt in einer Meldung vom 28.04.2015 auf inoffizielle Leitlinien der Bundesregierung mit einer Nebenabrede, wonach beim Zugriff auf die Bestandsdaten kein Richtervorbehalt gelten soll – in den offiziell veröffentlichten Leitlinien steht dies anders. Aber auch diese offiziellen Leitlinien zur Vorratsdatenspeicherung haben es in sich – der versprochene Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie etwa Priestern, Ärzten oder Rechtsanwälten setzt bei näherer Betrachtung in vielen Fällen gewisse hellseherische Fähigkeiten der Ermittlungsbeamten voraus.

Vorratsdatenspeicherung und Berufsgeheimnis – worum geht es?

Wörtlich aus den (offiziellen) Leitlinien vom 15. April 2015, Seite 4 unten:

„Verkehrsdaten, die sich auf Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen beziehen, die grundsätzlich anonym bleibenden Anrufern ganz oder überwiegend telefonische Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten und die selbst oder deren Mitarbeiter insoweit besonderen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegen, sind grundsätzlich von der Speicherpflicht ausgenommen. Darüber hinaus dürfen Verkehrsdaten in Bezug auf alle nach § 53 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Personen (Seelsorger, Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Beratungsstellen für Betäubungsmittelabhängigkeit und Schwangerschaftskonflikte, Abgeordnete, Presse) nicht abgerufen werden. Zufallsfunde unterliegen einem Verwertungsverbot.“

Zuvor auf Seite 2 oben:

„Gespeichert werden müssen im TKG genau bezeichnete Verkehrsdaten, die bei der Telekommunikation anfallen. Das sind insbesondere die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, bei Mobilfunk auch die Standortdaten, sowie IP-Adressen einschließlich Zeitpunkt und Dauer der Vergabe einer IP-Adresse…“

Noch einmal: Die einen Verkehrsdaten dürfen nicht gespeichert werden. Die anderen Verkehrsdaten dürfen zwar gespeichert, aber nicht abgerufen werden.

Setzt also doch wohl voraus, dass die hinter diesen Verkehrsdaten stehenden Personen als solche und damit als Angehörige der geschützten Kreise identifiziert werden können. Und zwar vorab, damit die Daten gar nicht erst in den Speicher gelangen oder dort jedenfalls ungelesen ihrer Löschung entgegen sehen.

Privilegierte dynamische IP-Adressen – wie soll das gehen?

Halten wir uns vor Augen: Die meisten unter uns, auch die meisten der doch angeblich besonders geschützten Personen, sind mit dynamisch vergebenen IP-Adressen im Internet unterwegs – regelmäßig, meist alle 24 Stunden nachts mit einer kurzen Zwangstrennung des Internet-Zugangs, vergibt der Provider dem DSL-Router aus seinem großen Vorrat eine neuer IP-Adresse. Bei einer Einwahlverbindung wird mit jeder neuen Einwahl eine eigene IP-Adresse vergeben.

Die IP-Adresse ist also in der Regel kein Datum, das dem Anschlussinhaber wie eine Telefonnummer dauerhaft zugewiesen bleibt – statische IP-Adressen sind die Minderzahl.

Wie soll nun anhand einer meist längstens für 24 Stunden zugewiesenen Reihe von Ziffern entnommen werden, dass eine im sozialen oder kirchlichen Bereich tätige Person den Internet-Anschluss nützt, dass die IP-Adresse also gar nicht erst gespeichert werden darf? Wie soll dieser Reihe von Ziffern entnommen werden, dass es sich um den Internet-Anschluss einer Arztpraxis, einer Anwaltskanzlei, eines Journalisten handelt, die jedenfalls nicht abgerufen werden dürfen?

IP-Adresse gibt keine Auskunft über Beruf des Anschlussinhabers

Die IP-Adresse als solche beinhaltet überhaupt keine Informationen darüber, wem sie zugewiesen ist. Dies ist frühestens über eine Provider-Auskunft möglich – der Provider teilt mit, welchem Kunden innerhalb eines bestimmten Zeitraumes eine bestimmte IP-Adresse zugewiesen war. So kommen beispielsweise die Filesharing-Abmahnkanzleien zu ihren Adressen.

Dies alles setzt damit auch voraus, dass der Anschlussinhaber in der Kundendatenbank des Providers als Angehöriger der privilegierten Kreise registriert ist, als Priester, als Arzt, als Rechtsanwalt.

Pater Max Mustermann also und Rechtsanwältin Lieschen Müller sind soweit privilegiert. Max Mustermann, der Priester ist, aber nur mit seinem Namen ohne Berufsbezeichnung eingetragen ist, und Lieschen Müller, die nun einmal als Rechtsanwältin zugelassen ist, sind es nicht. Bei Dr. med. Klöbner, der möglicherweise seine ärztliche Zulassung bereits zurückgegeben hat und in der Badewanne mit dem Tablet in der Hand seinen Ruhestand genießt, weiß man es nicht so genau.

Es sei denn, man wertet nicht nur die Verkehrsdaten aus, sondern auch die Inhalte… Aber das soll ja gerade nicht drohen.

Haben die Verantwortlichen keine Ahnung von der Technik? Oder soll hier gezielt Nebel produziert werden?