Urteil: Kein Schadensersatz nach Negativbewertung

Negativer Bewertungskommentar und Schadensersatzanspruch des Webshop-Betreibers – das Oberlandesgericht (OLG) München entschied mit Beschluss vom 12.02.2015, Az. 27 U 3365/14: Ist eine Äußerung des Käufers im Bewertungsportal eines Online-Shop als Meinungsäußerung einzustufen, steht dem Verkäufer kein Schadensersatzanspruch zu.

Was war geschehen?

Das Urteil des OLG München ist die Berufungsentscheidung zu dem als „Fliegengitter-Fall“ bekannt gewordenen Prozess vor dem Landgericht (LG) Augsburg.

Der Kläger ist Internet-Händler. Er betreibt sowohl unter eigenen Domains als auch über eBay und über Amazon Webshops. Der spätere Beklagte kaufte über den Amazon-Shop des Klägers Fliegengitter, mit dem er dann aber offenbar nicht zufrieden war. Er gab nämlich über das Amazon-Bewertungsportal folgende Bewertung ab:

„In der Anleitung steht ganz klar Mann muss den Innenrahmen messen das ist falsch! Damit wird das ganze zu kurz! Ich habe beim Verkäufer angerufen, Fazit: Er will sich dazu lieber nicht äußern, alleine das ist eine Frechheit. Danach unzählige sinnlose Emails! Amazon hat mir als Stammkunde mein Geld erstattet!“

Nun nahmen die Dinge ihren Lauf. Der Verkäufer und spätere Kläger forderte den Käufer auf, diese Bewertung zu löschen. Für den Fall, dass dies nicht innerhalb der nächsten Stunden geschehen sollte, drohte der Verkäufer mit einer Anzeige gegen den Käufer. Daraufhin erhielt der Verkäufer eine Abmahnung durch Amazon. Ebenso suspendierte Amazon sein Verkäuferkonto.

Der Verkäufer erhob schließlich vor dem LG Augsburg Klage gegen den Käufer. Dort verlangte er rund 40.000 € Schadensersatz sowie die Verurteilung des Beklagten Käufers zur Zahlung aller künftigen Schäden. Der Streitwert der Klage belief sich damit insgesamt auf ca. 70.000 €. Mit Urteil vom 30.07.2014, Az. 021 O 4589/13, wies das LG Augsburg die Klage vollständig ab.

Der unterlegene Verkäufer legte gegen dieses Urteil Berufung zum OLG München ein.

Wie entschied das OLG München im Fliegengitter-Fall?

Das OLG München bestätigte das Urteil des LG Augsburg und wies die Berufung zurück.
Das LG Augsburg habe den angegriffenen Bewertungskommentar zu Recht als zulässige Meinungsäußerung gewertet. Die zutreffende Einstufung einer Äußerung als Wertung oder Tatsachenbehauptung setze nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die Erfassung ihres Sinnes voraus. Eine Äußerung sei dabei stets in dem Zusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie dürfe nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden.

Die Äußerung des Beklagten „In der Anleitung steht ganz klar, man muss den Innenrahmen messen, das ist falsch!“ und die weitere Äußerung „Damit wird das Ganze zu kurz!“ dürften damit nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Eine Trennung der wertenden und tatsächlichen Inhalte und isolierte Betrachtung dieser Äußerungen des Beklagten würde deren Sinn verfälschen.

Der Beklagte habe durch seine Äußerung zum Ausdruck bringen wollte, dass er die Montageanleitung für falsch halte und ihre Befolgung zu einem nicht gewünschten Ergebnis führe. Die angegriffene Aussage des Beklagten sei deshalb insgesamt als Meinungsäußerung zu qualifizieren, die vom Grundrecht aus Art. 5 Abs. I Satz I GG geschützt werde.

Welche Auswirkung hat die Entscheidung des OLG München auf die Praxis bei Bewertungskommentaren?

Die Entscheidung des OLG München beinhaltet im Grunde keine wirklich neuen Erkenntnisse: Äußerungen in Online-Bewertungsportalen oder eben hier im Rahmen der Bewertungsfunktion eines Webshop sind im Ergebnis unangreifbar, solange es sich nicht um unwahre Tatsachenbehauptungen handelt oder die Grenze zur Schmähkritik überschritten ist.

Bei dem „Fliegengitter-Fall“ handelt es sich allerdings um einen extremen Sachverhalt, bei dem es sich lohnt, die näheren Umstände des Einzelfalles einmal genauer zu betrachten. Der ganze Verdruss des Verkäufers hatte seine unmittelbare Ursache offenbar nicht in der Bewertung des Käufers. Dem Verkäufer blieben nicht deswegen neue Kunden aus, weil diese durch den Bewertungskommentar des Käufers abgeschreckt waren. Nein: Der Verkäufer konnte keine Geschäfte mehr machen, weil Amazon seinen Shop gesperrt hatte. Und diese Sperre hatte ihre Ursache darin, dass der Verkäufer dem Käufer mit einer Anzeige gedroht und dadurch gegen die Amazon-Bestimmungen verstoßen hatte.

Eine Überreaktion des Verkäufers war also Auslöser des ganzen weiteren Ärgers.

Negative Bewertungen sind lästig. An anderer Stelle wurden im Zusammenhang mit Bewertungsportalen der Begriff „Krebsgeschwür der digitalen Welt“ gesprochen. Kein abwegiger Gedanke, wenn man sich das menschliche und auch das intellektuelle Niveau manches Kommentars einmal ansieht. Hilft nichts – nach der mittlerweile verfestigten Rechtsprechung sind Bewertungskommentare zulässig. So bleibt bis auf weiteres Verkäufern, die von negativen Bewertungskommentaren betroffen sind, am Ende meist nur, diese mit Gleichmut hinzunehmen, möglichst wenig Geräusch zu machen und auf diese Weise zu versuchen, Weiterungen soweit als möglich zu vermeiden.

Was tun?

Vielleicht hilft der Schluss aus Mozarts „Così fan tutte“ weiter:

„Glücklich preis‘ ich, wer erfasset
Alles von der rechten Seite,
Der bei Stürmen niemals erblasset,
Wählt Vernunft als Führerin.
Was im Leben and’re weinen macht,
Ist für ihn ein Grund zum Lachen.
Drohn Gefahren noch so fürchterlich,
Wahrt er seinen heitern Sinn!“

„Fortunato l’uom che prende
Ogni cosa pel buon verso,
E tra i casi e le vicende
Da ragion guidar si fa.
Quel che suole altrui far piangere
Fia per lui cagion di riso,
E del mondo in mezzo ai turbini
Bella calma proverà.“