Koalitionsvertrag 2018: Nebel statt Digitalisierung

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 07.02.2018 – >hier< abrufbar über die Website der CDU – beinhaltet 93 mal das Wort „Digitalisierung“, 171 mal den Begriff „Sicherheit“ (als einzelnes Wort oder als Wortbestandteil), sieben Mal das Wort „Cybersicherheit“ bzw. „Cyber-Sicherheit“, vier Mal das Wort „Überwachung“, einmal den Begriff „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“. Wie aber in den nächsten dreieinhalb Jahren die heranstehenden wie auch die bisher unbewältigten Aufgaben gelöst werden sollen, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben, wird nicht recht klar.

Digitalisierung 2018 bis 2021: Aus dem Nebel in den Nebel

Die Ausgangsposition der neuen Bundesregierung, was die Digitalisierung von Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft angeht, ist nicht die beste – bereits die gesetzgeberischen Aktivitäten der vorangegangenen Großen Koalition zeichneten sich durch ein erratisches „Sowohl als auch“ aus.

Das seit Juli 2015 gültige IT-Sicherheitsgesetz (Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme) verpflichtet Betreiber einer Kritischen Infrastruktur im Sinne der BSI-Kritisverordnung, IT-Sicherheitsstandards gemäß Stand der Technik einzuhalten, um unerlaubte Zugriffe auf ihre technischen Einrichtungen und Daten als auch Störungen zu verhindern. Ziel des Gesetzes soll es sein, die IT-Systeme und digitalen Infrastrukturen Deutschlands zu den sichersten weltweit zu machen.

Das WLAN-Gesetz vom Sommer 2017 (Drittes Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes) macht, was die Störerhaftung von Netzwerk-Betreibern angeht, einen nicht recht nachvollziehbaren Unterschied zwischen Funk-Netzwerken und Kabel-Netzwerken – nur für WLAN-Anbieter gilt das Haftungsprivileg.

Über das „Staatstrojaner-Gesetz“ aus dem Jahr 2017 war schon >hier< Thema – das Gesetz ermöglicht es Strafverfolgungsbehörden in zahlreichen Fällen, verschlüsselte Internet-Telefonate ebenso überwachen wie Chats über Messenger wie WhatsApp, Signal, Telegram oder Threema. Zudem erhalten die Ermittlungsbehörden die Befugnis, beim Verdacht auf besonders schwere Straftaten heimlich komplette IT-Systeme wie Computer oder Smartphones auszuspähen. Das „Staatstrojaner-Gesetz“ ist keine bloße Absichtserklärung – die Ermittlungsbehörden greifen, wie die Süddeutsche Zeitung am 26.01.2018 berichtete, längst darauf zurück und setzen Trojaner-Software ein. Selbstverständlich wird hierfür ein etwas weniger schmuddeliger Begriff verwendet – von „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ (Quellen-TKÜ) ist die Rede.

Das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken) vom September 2017 verlagert Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen, die das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit berühren, von den Gerichten auf notdürftig ausgebildete Zensur-Komitees der Plattformbetreiber.

So bleibt am Ende der Eindruck, dass eine in der digitalen Welt eher desorientierte Truppe nur einen Flickenteppich zusammengefügt hat – planlos, ohne Gesamtkonzept, alleine mit dem Ziel vor Augen, den Eindruck von Untätigkeit zu vermeiden und die eigene Klientel und die Presse kurzfristig ruhig zu stellen.

Koalitionsvertrag 2018: Flickenteppich 2.0

Dass die digitale Agenda der nächsten GroKo-Bundesregierung anders aussehen könnte als der Flickenteppich der vergangenen Jahre, ist nach dem Koalitionsvertrag vom Februar 2018 eher unwahrscheinlich. Die Aussagen sind vage und im Ergebnis widersprüchlich.

So heißt es auf Seite 45 des Koalitionsvertrages, Zeilen 1984 bis 1989, zum Thema „Verschlüsselung“:

„Wir wollen einfache und sichere Lösungen für die elektronische Identifizierung und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für jedermann verfügbar machen und es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, verschlüsselt mit der Verwaltung über gängige Standards zu kommunizieren (PGP/SMIME). Wir werden sicherheitsrelevante Schlüsseltechnologien besser vor einem Ausverkauf oder einer Übernahme schützen und die nationalen und europäischen Außenwirtschaftsinstrumente ergänzen.“

Zum Thema „Digitales / Cybersicherheit“ steht auf Seite 125, Zeilen 5885 bis 5893:

„Eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie setzt Datensicherheit voraus. Wir wollen, dass gemeinsam zwischen Bund und Ländern, möglichst sogar in ganz Europa, Sicherheitsstandards für die IT-Strukturen und den Schutz der kritischen Infrastruktur entwickelt werden. Den mit dem IT-Sicherheitsgesetz eingeführten Ordnungsrahmen werden wir in einem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 weiterentwickeln und ausbauen. In diesem Zusammenhang werden wir die Herstellerinnen und Hersteller sowie Anbieterinnen und Anbieter von IT-Produkten, die neben den kritischen Infrastrukturen von besonderem nationalem Interesse sind, stärker in die Pflicht nehmen.“

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für jedermann, Datensicherheit. Das klingt doch erfreulich. Indes – auf Seite 128, Zeilen 6022 bis 6044, heißt es unter „Befugnisse“ (und zwar der Sicherheitsbehörden):

„Die Sicherheitsbehörden brauchen gleichwertige Befugnisse im Umgang mit dem Internet wie außerhalb des Internets. Das bedeutet im Einzelnen: Es darf für die Befugnisse der Polizei zu Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis zum Schutz der Bevölkerung keinen Unterschied machen, ob die Nutzer sich zur Kommunikation der klassischen Telefonie oder klassischer SMS bedienen oder ob sie auf internetbasierte Messenger-Dienste ausweichen. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Cyberabwehr soll ausgebaut, verbessert und strukturell neu geordnet werden. Die Rolle des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wird gestärkt.

Wo Strafbarkeitslücken bestehen, werden wir eine Strafbarkeit für das Betreiben krimineller Infrastrukturen einführen, um speziell im Internet eine Ahndung von Delikten wie z. B. das Betreiben eines Darknet-Handelsplatzes für kriminelle Waren und Dienstleistungen einzuführen.

Wir wollen Angriffe aus dem Cyberraum gegen unsere kritischen Infrastrukturen abwehren und verhindern.

Wir wollen die Sicherheitsbehörden bei der Verfolgung und Prävention von Cyberkriminalität durch die Schaffung notwendiger rechtlicher, organisatorischer sowie technischer Rahmenbedingungen stärken.

Wir wollen, dass die Sicherheitsbehörden ihre bestehenden Befugnisse auch in der digitalen Welt anwenden und tatsächlich durchsetzen können.“

Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis einmal mehr als eines der klassischen angeblichen Allheilmittel gleichermaßen gegen Bombenleger, verregnete Sommer und Hühner, die zu kleine Eier legen.

Was nun? Datensicherheit im öffentlichen Interesse oder Abzapfen von Daten im öffentlichen Interesse?

Politische Existenzsicherung anstelle von digitaler Agenda

Das Sowohl-als-auch-und-weiter-so der geplanten GroKo 2018 mit Oppositions-Martin Schulz (derzeit 62 Jahre alt) als designiertem Außenminister [Nachtrag 09.02.2018 18:45 Uhr: Martin Schulz verzichtet offenbar auf das Amt des Außenministers] Heimat-Horst Seehofer (derzeit 68 Jahre alt) als designiertem Innenminister und vorneweg Angela „Neuland“ Merkel (derzeit 63 Jahre alt) als Bundeskanzlerin steht offenkundig vor dem Bemühen von CDU, CSU und SPD, ihre politischen Existenzen zu sichern.

Der SPD droht, dass sie mit der Digitalisierung die nächste große gesellschaftliche Umwälzung verschläft und sich statt dessen mit sich selbst (oder demjenigen, was von ihr übrig geblieben ist) beschäftigt – so wie sie vor rund 40 Jahren das aufkommende Umweltbewusstsein als politischen Faktor verkannt hat.

Die CDU und noch mehr die CSU stehen beide vor der Aufgabe, den Spagat zwischen zwei Stamm-Klientelen mit völlig gegensätzlichen Einstellungen zur Digitalisierung bewältigen zu müssen – hier die Industrie mit ihrem existentiellen Interesse an Datenübertragung in Echtzeit und zugleich Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, dort eine traditionalistisch-kleinbürgerliche Klientel, für die das Internet wohl nach wie vor zuallererst ein Tummelplatz langhaariger Bombenleger (nunmehr bevorzugt aus dem nicht-christlichen Ausland) und Kinderpornographen ist.

Mittendrin ein politischer Apparat, der allzu häufig den Eindruck erweckt, den Unterschied zwischen Google und dem Fernamt der Bundespost noch nicht verinnerlicht zu haben und im Zeitalter der IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine stehengeblieben zu sein. Und dahinter eine Presse-Kaste, der in erheblichem Maße die Fähigkeit oder jedenfalls der Wille zu Analyse und Kontroverse abhandengekommen ist, und die sich statt dessen in moralisierendem Infotainment und hyperventilierenden Betrachtungen zur Frisur des amtierenden US-Präsidenten ergeht.

Digitalisierung bedeutet auch: Entscheidungen treffen.

 

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