Bundeswehr-Folterrituale: Entlassung der Soldaten auch bei Einwilligung

Sadistische Aufnahmerituale bei der Bundeswehr, Einwilligung der beteiligten Soldaten und Entlassung aus dem Dienstverhältnis – der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in Mannheim entschied mit Beschlüssen vom 08.02.2018, Az. 4 S 2200/17 und 4 S 2201/17, sowie vom 09.02.2018, Az. 4 S 2144/17: Die Beteiligung an bundeswehrinternen Aufnahmeritualen in Form von „Folterritualen“ ist selbst dann, wenn sie im allseitigen Einverständnis zwischen den Soldaten erfolgt, ein schwerwiegendes Fehlverhalten, das die die Entlassung aus dem Dienstverhältnis rechtfertigt.

Was war geschehen?

Vier jungen Männer, zwei Soldaten auf Zeit sowie zwei freiwillig Wehrdienstleistende, wurden von der Bundeswehr wegen ihrer Beteiligung an Aufnahmeritualen in Form von „Taufen“ und „Gefangenenspielen“ im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen in Pfullendorf entlassen. Ihre gegen die Entlassungen gerichteten Klagen wies das Verwaltungsgericht (VG) Sigmaringen mit Urteilen vom 19.07.2017, Az. 5 K 1899/17, 5 K 1934/17, 5 K 3459/17 und 5 K 3625/17, zurück.

Die vier entlassenen Soldaten beantragten die Zulassung der Berufung gegen Urteile des VG Sigmaringen. Einer nahm seinen Zulassungsantrag wieder zurück. Über die drei verbliebenen Zulassungsanträge entschied der VGH Mannheim.

Wie entschied der VGH Mannheim?

Der VGH Mannheim wies auch die Anträge der drei übrigen entlassenen Soldaten auf Zulassung der Berufung gegen Urteile des VG Sigmaringen zurück.

Folterrituale seien objektiv geeignet, den militärischen Zusammenhalt im Sinne eines gegenseitigen Vertrauens und der Bereitschaft, füreinander einzustehen, zu gefährden. Selbstgeschaffene bundeswehrinterne Aufnahmerituale trügen die generelle Gefahr des Ausartens in sich. Auch wenn sie mit harmlosen Inhalten begännen, bestünden Missbrauchsmöglichkeiten zu Lasten Einzelner, indem Soldaten einem Gruppenzwang unterworfen und letztlich durch Misshandlung, Demütigung bzw. entwürdigender Behandlung in ihren Grundrechten verletzt würden.

Das VG Sigmaringen habe zutreffend dargelegt, dass die Behandlung des „Täuflings“ und des „Gefangenen“ äußerlich an Folterszenen erinnere, die darauf gerichtet seien, die Opfer nicht nur in ihrer Bewegungsfreiheit und körperlichen Unversehrtheit zu beeinträchtigen, sondern sie gerade auch in ihrer Ehre und Würde zu verletzen.

Es sei rechtlich unerheblich, ob diese Rituale im Einverständnis aller Beteiligten durchgeführt worden seien und auch alle Beteiligten diese Behandlung als Spaß angesehen hätten: Jeder „Spaß“ ende dort, wo er die Würde, die Ehre und/oder die körperliche Unversehrtheit eines Kameraden verletze.

Die Beteiligung an „Folterritualen“ erweise sich daher, selbst wenn sie im allseitigen Einverständnis zwischen den Beteiligten als eine scherzhafte Form des Umgangs miteinander angesehen würden, schon wegen der Beeinträchtigung der Grundrechtssphäre des Betroffenen als schwerwiegendes Fehlverhalten. Dieses Fehlverhalten betreffe den militärischen Kernbereich, da es den militärischen Zusammenhalt gefährden könne.

Die Beschlüsse des VGH Mannheim sind unanfechtbar.

Welche Auswirkung hat die Entscheidung auf die Praxis?

Das Recht steht über dem Ritual – so lassen sich die Entscheidungen zusammenfassen. Ob ein Aufnahmeritual demütigend ist oder nicht, beurteilt sich nach rein objektiven Kriterien. Ob das Aufnahmeritual eine Tradition hat, ob die betroffenen Soldaten in das Ritual eingewilligt haben oder ob die betroffenen Soldaten sogar selbst das Ritual nur als Spaß ansehen, spielt keine Rolle.

Völlig zu Recht stellt der VGH Mannheim auf den Gruppenzwang und die hieraus folgende Missbrauchsgefahr ab: Eine Armee ist eine streng hierarchische Einrichtung, in der Neulinge ganz unten stehen und Feiglinge (oder wer dafür gehalten wird) für immer ganz unten bleiben. „Nein heißt nein“, „Armlänge Abstand“ und andere sozialpädagogische Erkenntnisse helfen dem frisch eingetretenen Rekruten in einer Armee nicht weiter. Der muss sich auf das objektive Recht und dessen Anwendung durch seinen Dienstherren verlassen können.

 

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