Judenstern und Impfgegner: Keine Volksverhetzung, keine Beleidigung

Facebook, Judenstern und Volksverhetzung – das Saarländische Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschied mit Urteil vom 08.03.2021, Az. Ss 72/20 (2/21): Die Instrumentalisierung des Judensterns durch die Ersetzung des Worts „Jude“ mit „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophop“ im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung stellt ohne weiteres keine Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB oder Beleidigung der unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft verfolgten Juden nach § 185 StGB dar.

Sachverhalt: Worum geht es?

Eine AfD-Kommunalpolitikerin aus den Saarland hatte im Oktober 2019 auf ihrem Facebook-Profil einen Text veröffentlicht, mit dem sie auf eine angebliche gesellschaftliche Ausgrenzung von Impfgegnern, AfD-Wählern, SUV-Fahrern und Islamkritikern aufmerksam machen wollte. Unter dem Text postete sie ein Bild, auf dem vier Mal der Judenstern aus dem Dritten Reich zu sehen. Auf den vier Judensternen standen anstelle von „Jude“ die Wörter „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ oder „Islamophop“. Die Frau wurde deshalb wegen Volksverhetzung und Beleidigung der unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft verfolgten Juden angeklagt. Das Amtsgericht Saarbrücken sprach die Frau mit Urteil vom 30.07.2020, Az. 126 Cs 205/20, frei. Die Staatsanwaltschaft legte gegen das Urteil (Sprung-)Revision ein.

Ergebnis: Wie entschied das Gericht?

Das Oberlandesgericht Saarbrücken bestätigte den Freispruch des Amtsgerichts.

_ Keine Volksverhetzung

Die Angeklagte habe sich wegen der Veröffentlichung des Fotos mit dem abgeänderten Judenstern nicht wegen Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB strafbar gemacht. Diese Äußerung der Angeklagten sei nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Veröffentlichung sei nicht darauf gerichtet gewesen, zu etwaigen Gewalttaten anzustacheln, zu sonstigem Rechtsbruch aufzufordern oder die Hemmschwelle zur Begehung von Handlungen mit rechtsgutgefährdenden Folgen herabzusetzen. Die Angeklagte habe den Judenstern für ihre Kritik an der Art und Weise des gesellschaftskritischen Umganges mit Impfgegnern, AfD-Wählern, SUV-Fahrern und Islamkritikern instrumentalisiert. Dies begründe für sich genommen keine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens:

„Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind nämlich nicht schon dann überschritten, wenn die anerkannte Geschichtsschreibung oder die Opfer nicht angemessen gewürdigt werden. Vielmehr sind von ihr selbst offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen gedeckt, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861 ff., juris Rn. 29). Das besagt nicht, dass derartige Äußerungen als inhaltlich akzeptabel mit Gleichgültigkeit in der öffentlichen Diskussion aufzunehmen sind. Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird (vgl. BVerfG, a. a. O., juris Rn. 30), wie dies im vorliegenden Fall nach den in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen auch geschehen ist. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen (vgl. BVerfG, a. a. O.). Das ist hier nach den getroffenen Feststellungen nicht der Fall.“

_ Keine Beleidigung

Auch eine Strafbarkeit wegen Beleidigung nach § 185 StGB liege nicht vor. Auch insoweit gehe es der Angeklagten nur darum, auf eine nach ihrer Ansicht ungerechtfertigte Ausgrenzung der in den verwendeten „Judensternen“ bezeichneten Personen in der heutigen Gesellschaft hinzuweisen:

„Dass dies mittels eines jeder tatsächlichen Grundlage entbehrenden Vergleichs mit dem Verfolgungsschicksal der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geschah, stellt jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen ebenso wenig wie die bloße, als solche nicht verbotene Verwendung des ‚Judensterns‘ einen Angriff auf das einzigartige Verfolgungsschicksal der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus und damit auf deren Ehre dar. Die in Rede stehende Äußerung der Angeklagten richtete sich gerade nicht gegen diese. Vielmehr reiht sie sich in eine Vielzahl gerade in jüngster Zeit verstärkt zu beobachtender Beiträge ein, in denen im Rahmen der öffentlichen geistigen Auseinandersetzung – oftmals mit Erfolg – versucht wird, durch Holocaustvergleiche die Aufmerksamkeit des angesprochenen Publikums zu erregen und sich, anstatt sich öffentlicher Kritik an der eigenen Handlung, Haltung oder Meinung zu stellen, zum Opfer zu stilisieren.“

Auswirkung auf die Praxis

Das Urteil des OLG Saarbrücken ist Wasser auf die Mühlen der „Das wird man wohl noch sagen dürfen“-Szene, ein „Innerer Reichsparteitag“ – um eine zumindest in Teilen dieser Kreise recht beliebte Formulierung zu verwenden.

Dem Urteil des OLG Saarbrücken liegt offenbar die feine Unterscheidung zugrunde, dass ein Gebrauch und auch ein Missbrauch von Symbolen auf der einen Seite und auf der anderen Seite eine Herabsetzung derjenigen Personen, die unter diesen Symbolen unterdrückt, verfolgt und getötet wurden, unterschiedliche Themen sind. Das OLG Saarbrücken vertritt im Ergebnis die Ansicht, Unterdrückungssymbol und Unterdrückungsopfer könnten begrifflich voneinander getrennt werden.

Das Unterdrückungssymbol – hier: der Judenstern – wird auf diese Weise zur bloßen Grafikvorlage, zur Clipart, an der und mit deren Hilfe sich austoben darf, wer will und dabei vielleicht meint, intellektuell brilliant zu sein.

Politische Meinungen müssen nicht klug sein. Historische Unkenntnis, Maßlosigkeit, Geschmacklosigkeit, Dummheit und Volksverhetzung sind verschieden Paar Stiefel. Hier aber werden der Judenstern, die Geschwister Scholl, Georg Elser oder die Frauen und Männer des 20. Juli um den Grafen Stauffenberg von denen instrumentalisiert und in ihrer historischen Bedeutung pervertiert, die politisch ganz weit rechts stehen. Das Ganze geschieht unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit,  gar mit der Anmaßung, die Meinungsfreiheit zu retten. Die Brandstifter behaupten, die Feuerwehr zu sein.

Deswegen ist staatliches Handeln gefordert. Es gilt, das nationale Erbe vor dem Zugriff derjenigen zu bewahren, die sich dreist zu dessen Gralshütern aufblasen und doch nur damit Schindluder treiben. Bereits diejenigen, die den Judenstern einführten, behaupteten, die Retter von Nation und Vaterland zu sein. Das Ergebnis ihres Treibens ist bekannt.

 

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