BGH: Keine Bestechlichkeit eines Kassenarztes nach Annahme einer Prämie für Verordnung bestimmter Medikamente

Der Bundesgerichtshof entschied mit Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 29.03.2012, Az. GSSt 2/11: Kassenärzte, die von einem Pharma-Unternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens entgegennehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar. Entsprechend sind auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten solche Vorteile zuwenden, nicht wegen Bestechung strafbar.

Was war geschehen?

Ein Pharmaunternehmen hatte unter der Bezeichnung „Verordnungsmanagement“ ein Prämiensystem für die ärztliche Verordnung von Medikamenten aus seinem Vertrieb geschaffen. Danach sollte der verschreibende Arzt 5 Prozent der Herstellerabgabepreise als Prämie dafür erhalten, dass er Arzneimittel dieses Unternehmens verordnete. Die Prämien wurden als Honorar für fiktive wissenschaftliche Vorträge ausgewiesen. Die Angeklagte war für das Unternehmen als Pharmareferentin tätig. Sie hatte auf der Grundlage dieses Prämiensystems in insgesamt 16 Fällen verschiedenen Vertragsärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 € übergeben. Wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr in 16 Fällen hatte das Landgericht Hamburg die Pharmareferentin zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt.

Gegen dieses Urteil legte die Pharmareferentin Revision zum 5. Strafsenat des BGH ein. Dieser legte mit Beschluss vom 20.07.2011, Az. 5 StR 115/11, dem Großen Senat für Strafsachen die Frage zur Entscheidung vor, ob ein niedergelassener, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassener Arzt handelt bei der Wahrnehmung der ihm in diesem Rahmen übertragenen Aufgaben (§ 73 Abs. 2 SGB V, hier: Verordnung von Arzneimitteln) weder als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB ist.

Wie entschied das Gericht?

Der Große Senat für Strafsachen verneinte sowohl eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit nach § 332 StGB noch wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 Abs. 1 StGB.

Bestechlichkeit nach § 332 StGB scheide aus, weil Kassenärzte insbesondere bei der Verordnung von Arzneimitteln nicht als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB handelten. Kassenärzte seien nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Kassenarzt sei weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Er werde auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Versicherten werde wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen sei.

Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB scheide aus, da der Kassenarzt bei der Verordnung eines Arzneimittels nicht als Beauftragter der Krankenkasse handele.

Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, sei im Ergebnis Aufgabe des Gesetzgebers.

Welche Auswirkung hat die Entscheidung auf die Praxis?

Der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen schafft zunächst eine Ungleichbehandlung zwischen freiberuflich tätigen Kassenärzten auf der einen Seite und angestellten Ärzten auf der anderen Seite, die in Krankenhäusern oder Gesundheitszentren arbeiten. Während sich der freiberufliche Arzt durch die Annahme von Vergünstigungen nicht strafbar macht, besteht für angestellte Ärzte das Risiko der Korruptionsstrafbarkeit fort.

Zugleich aber stärkt der Große Senat für Strafsachen den Gedanken der Freiberuflichkeit und der damit verbundenen Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit, indem er bestätigt, dass niedergelassene Ärzte auf Grundlage einer auf Vertrauen sowie freier Auswahl und Gestaltung beruhenden persönlichen Beziehung zum Patienten tätig werden, die der Einflussnahme durch die Krankenkasse entzogen ist.

Freilich ist Korruption im Gesundheitswesen auch nach der Entscheidung des BGH nicht hinweg zu diskutieren. Zweifel an einer unvoreingenommenen, alleine am Wohl des Patienten ausgerichteten Verschreibungspraxis können auf Dauer nicht nur dem Ruf der Ärzte, sondern auch dem Ruf der Medizinprodukte schaden. So bleibt tatsächlich der Gesetzgeber gefordert.