Keine tatsächliche Vermutung der Täterschaft bei Filesharing-Rechtsverstoß über Familienanschluss – das Landgericht (LG) Potsdam entschied mit Urteil vom 08.01.2015, Aktenzeichen 2 O 252/14: Die tatsächliche Vermutung der Alleinnutzung des Internet-Anschlusses durch den Anschlussinhaber ist bereits dadurch widerlegt, dass auch Ehepartner und Kinder im gleichen Haushalt wohnen und freien Zugriff auf den Internetzugang haben. Bereits das gemeinsame familiäre Zusammenleben im Haushalt lässt die Grundlagen der tatsächlichen Vermutung der Täterschaft entfallen.
Was war geschehen?
Die beklagte Anschlussinhaberin wohnt mit ihrem Ehemann und ihren 4 Kindern, hierunter der im Oktober 1997 geborene Sohn, in einem gemeinsamen Haushalt. Mit Abmahnschreiben vom 25.05.2011 wurde der späteren Beklagten vorgeworfen, in der Zeit vom 10.12.2010 bis zum 20.12.2010 über eine Filesharing-Tauschbörse das Spiel „Gothic IV – Arcania“ verbreitet zu haben. Die spätere Klägerin verlangte von der Anschlussinhaberin eine Unterlassungserklärung, Ersatz der Abmahnkosten und Schadensersatz. Die Beklagte gab weder die geforderte Unterlassungserklärung ab noch zahlte sie. Deswegen verfolgte die Klägerin die mit der Abmahnung geltend gemachten Ansprüche weiter und erhob Klage gegen die Anschlussinhaberin.
Wie entschied das Landgericht Potsdam über die Haftung für den Familienanschluss?
Das Landgericht Potsdam wies die Klage ab.
Entscheidung: Keine Täterhaftung
Die beklagte Anschlussinhaberin hafte nicht als Täterin, da nicht feststehe, dass sie selbst den behaupteten Rechtsverstoß über die Filesharing-Tauschbörse begangen habe. Die tatsächliche Vermutung der Alleinnutzung des Anschlusses durch die Beklagte sei bereits dadurch widerlegt, dass gemäß ihrem Angaben ihr Ehemann und ihr im Oktober 1997 geborener Sohn mit im gemeinsamen Haushalt wohnten und freien Zugriff auf den Internetzugang gehabt hätten. Bereits das gemeinsame familiäre Zusammenleben im Haushalt lasse die Grundlagen der tatsächlichen Vermutung entfallen. Im Gegenteil entspreche es der Lebenserfahrung, dass im Haushalt des Anschlussinhabers lebende weitere Personen freien Zugriff auf einen dort vorhandenen Internetanschluss hätten und hiervon auch Gebrauch machten. Dies gelte erst recht, wenn es sich um den Ehepartner und fasste volljährige eigene Kinder handele.
Weitergehender Vortrag, insbesondere dazu, welche Personen zu den Zeitpunkten der behaupteten Rechtsverletzungen den Anschluss tatsächlich genutzt haben, sei im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht geboten. Im Hinblick auf die Alltäglichkeit der Computernutzung und die üblicherweise fehlende Buchführung hierzu handle es sich nicht um Umstände, die üblicherweise in der Sphäre des Anschlussinhabers zur Verfügung stünden. Darlegungen hierzu könnten deswegen nicht gefordert werden.
Der Anschlussinhaber sei jedenfalls im familiären Umfeld auch nicht verpflichtet, nachträglich die Person des Täters festzustellen.
Entscheidung: Keine Störerhaftung
Die beklagte Anschlussinhaberin hafte auch nicht als Störerin. Eine Störerhaftung setze Überwachungspflichten voraus. Eine Überwachungspflicht ergebe sich jedoch nicht schon aus der Anschlussinhaber schafft als solche. Eine Überwachungspflicht bestehe vielmehr nur in dem Umfang, wie sie sich aus anderen Vorschriften, insbesondere der zivilrechtlichen Aufsichtspflicht, ergebe. Eine zivilrechtliche Aufsichts- und Überwachungspflicht und damit auch die Pflicht zur Belehrung hinsichtlich des Verbots von Urheberrechtsverletzungen bestehe weder gegenüber dem Ehepartner noch gegenüber volljährigen Kindern.
Welche Auswirkung hat das Urteil des Landgerichts Potsdam auf die Praxis bei der Filesharing-Rechtsverteidigung?
Die tatsächliche Vermutung, dass der Anschlussinhaber zugleich auch persönlich den Rechtsverstoß über die Filesharing-Tauschbörse begangen hat, ist die Allzweckwaffe der Filesharing-Abmahnindustrie. Das Landgericht Potsdam setzt dieser in wohl sämtlichen Filesharing-Abmahnungen geltend gemachten tatsächlichen Vermutung eine entgegenstehende andere tatsächliche Vermutung entgegen: dass im Haushalt des Anschlussinhabers lebende weitere Personen freien Zugriff auf einen dort vorhandenen Internetanschluss haben und hiervon auch Gebrauch machen, dass also keinesfalls ohne weiteres vermutet werden kann, welches Familienmitglied über die Filesharing-Tauschbörse gegen das Urheberrecht verstoßen hat.
Wenn es keine tatsächliche Vermutung gibt, welche Person über den Internetanschluss Filesharing betrieben hat, trägt die Abmahnung der Partei und spätere klagende Partei die volle Beweislast dafür, dass tatsächlich die beklagte Person und nicht eine andere Person den Rechtsverstoß beging, deshalb zur Abgabe einer Unterlassungserklärung verpflichtet war und die Abmahnkosten und Lizenz-Schadensersatz bezahlen muss.
Eine tatsächliche Vermutung ist kein unverrückbarer Rechtsgrundsatz, sondern nur eine aus den sozialen Gepflogenheiten abgeleitete Erkenntnis. Ändern oder unterscheiden sich diese sozialen Gepflogenheiten, ist für die ursprüngliche tatsächliche Vermutung kein Platz mehr.
Das Urteil des Landgerichts Potsdam reiht sich im übrigen ein unter diejenigen Entscheidungen, die eine Verpflichtung des beklagten Anschlussinhabers ausdrücklich ablehnen, nötigenfalls ein bestimmtes Familienmitglied gegenüber den Abmahnern denunzieren zu müssen.