Fiktives Interview mit Katrin Göring-Eckardt ist Satire

Fake-Interview und Satire – das Landgericht Hamburg wies mit Urteil vom 25.07.2022, Az. 324 O 85/22, die Klage der Politikerin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) gegen das Magazin „Tichys Einblick“ ab.

Sachverhalt: Was war geschehen?

„Tichys Einblick“ veröffentlichte im September 2021 ein fiktives Interview mit der Politikerin unter dem Titel „Grüne wollen staatliche Gutscheine für Putzhilfen“. Über dem Titel befand sich – und befindet sich, Stand 31.08.2022, weiterhin – eine Kopfzeile „ACHTUNG SATIRE! ACHTUNG SATIRE!“ mit deutlich geringerer Schriftgröße, aber durchgehender Großschreibung. Das Fake-Interview war Teil einer Beitragsreihe namens „Almost True News – Beinahe wahre Geschichten“. Eine Grafik mit dem zusätzlichen Hinweis „Glosse“ folgt im unmittelbaren Anschluss an den Teaser des Beitrags.

Dennoch, so ist jedenfalls die Urteilsbesprechung in Legal Tribune Online zu verstehen, nahmen wohl einige Leser die Aussagen für bare Münze, reagierten unfroh und erhitzten sich anschließend unter Zuhilfenahme der Kommentarfunktion. Die Politikerin machte eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend und klagte auf Unterlassung.

Ergebnis: Wie entschied das Gericht?

Das Landgericht Hamburg wies die Klage ab – unter anderem wohl wegen der Kopfzeile „Achtung Satire“. Mehr noch, so die übereinstimmende Darstellung in der LTO-Urteilsbesprechung und auf „Tichys Einblick“, erkenne das verständige Publikum unabhängig von diesem Hinweis auch am Inhalt des Beitrages, dass es sich nicht um tatsächliche Äußerungen von Katrin Göring-Eckardt handeln könne.

Exkurs: Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht entschied in seinem – von der Politikerin Renate Künast erstrittenen – Beschluss vom 19.12.2021, Aktenzeichen 1 BvR 1073/20 unter anderem, dass Politikerinnen und Politiker etwas mehr aushalten müssen, dass die Grenzen zulässiger Kritik an ihnen weiter zu ziehen sind:

„Unter dem Aspekt der Machtkritik haben die Gerichte auch Auslegung und Anwendung des Art. 10 Abs. 2 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu berücksichtigen. In ständiger Rechtsprechung betont der Gerichtshof, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikerinnen und Politikern weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (vgl. EGMR, Lingens v. Austria, Urteil vom 8. Juli 1986, Nr. 9815/82, § 42; Oberschlick v. Austria I, Urteil vom 23. Mai 1991, Nr. 11662/85, § 59; Oberschlick v. Austria II, Urteil vom 1. Juli 1997, Nr. 20834/92, § 29; EON v. France, Urteil vom 14. März 2013, Nr. 26118/10, § 59). Insofern Politikerinnen und Politiker bewusst in die Öffentlichkeit treten, unterscheidet sich ihre Situation von derjenigen staatlicher Amtswalter, denen ohne ihr besonderes Zutun im Rahmen ihrer Berufsausübung eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 -, Rn. 31).“

Unter Niveau: Das muss das Boot abkönnen

Ich muss bei solchen und ähnlichen Nachrichten aus der Welt der Anti-Mainstream-Presse mit ihren, wie es mir den Anschein hat, besonderen Ansprüchen an Wahrhaftigkeit, Qualität und Freiheitlichkeit immer an eine Passage aus Lothar-Günther Buchheims Roman „Das Boot“ denken, großartig verfilmt unter der Regie von Wolfgang Petersen mit Jürgen Prochnow in der Rolle des „Alten“:

„Noch vor dem Abendbrot lässt der Kommandant einen Tieftauchversuch machen. Er will wissen, ob die Außenbordverschlüsse auch in größerer Tiefe dichthalten.

Erprobt sind die VII C-Boote für eine Tauchtiefe von neunzig Metern.

(…)

Die Serie der Tauchkommandos von heute morgen wiederholt sich. Aber wir pendeln uns nicht bei dreißig Metern ein, sondern gehen tiefer und tiefer. Es wird mäuschenstill im Boot.

Plötzlich ein scharfes Schrillen, ein die Trommelfelle peinigender fürchterlicher Lärm. Entsetzte Blicke treffen mich. Aber der Alte trifft keine Anstalten, die Fahrt schräg hinab zu stoppen.

Der Manometerzeiger steht auf hundertfünfzig.

Wieder Schrillen, untermischt mit dumpfem Schrammen.

‚Nicht gerade ein idyllisches Plätzchen hier‘, murmelt der Leitende. Er hat das Backenfleisch nach innen gezogen und schickt sprechende Blicke zum Kommandanten hin.

‚Das muss das Boot abkönnen‘, sagt der Alte lakonisch. Da wird mir klar, dass das Boot über die Grundfelsen scheuert.“

Man mag von Beiträgen wie diesem Fake-Interview und den dahinterstehenden gedanklichen Konstrukten und politischen Meinungen halten, was man will. Spätestens die Kommentarspalten der einschlägigen Plattformen enthalten in schöner Häufigkeit ganze Ansammlungen von intellektuellen, ethischen und ästhetischen Offenbarungseiden. Aber holzhammermäßiger als mit einer Kopfzeile „Achtung Satire“ lässt sich in einem Artikel kaum ankündigen, dass dasjenige, was folgt, Satire und folglich nicht mit letzter Konsequenz ernst zu nehmen sein soll.

Wer lesen kann und dies auch tut, und zwar vollständig, ist dort (und bei anderer Gelegenheit) im Vorteil. Wer dies nicht tut, aus welchen Gründen auch immer, verdirbt sich vielleicht unnötig den Tag. Wer nicht einmal das lesen will, was oben steht, soll es lassen. Dafür aber sind nicht diejenigen verantwortlich, die den Text liefern.

Davon geht der Rechtsstaat nicht unter. Das muss das Boot abkönnen.

 

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