In einer Vielzahl von Mandaten gingen hier in den letzten Tagen und Wochen gleichlautende Zahlungsaufforderungen der Debcon GmbH, einem Inkassounternehmen aus Bottrop, ein. Es geht jeweils um angebliche Filesharing-Rechtsverstöße aus dem Jahr 2010. Debcon macht dort aus angeblich abgetretenen Forderungen Lizenz-Schadensersatz nach Lizenzanalogie geltend. Hierbei zitiert Debcon aus einem Urteil des Amtsgerichts Itzehoe vom 22.10.2014 – dort soll angeblich festgestellt worden sein, dass der Lizenz-Schadensersatzanspruch bei Filesharing erst nach zehn Jahren verjährt. Tatsächlich?
Inhalt
Debcon-Zahlungsaufforderung: Doch keine 3-jährige Verjährung?
Wörtlich heißt es in den Zahlungsaufforderungen von Debcon:
„Sollten Sie sich auf die Einrede der Verjährung berufen wollen, verweisen wir auf das aktuelle Urteil des Amtsgerichts Itzehoe vom 22.10.2014 (dortiges AZ: 92 C 64/14):
‚… Ausnahmsweise verjähren nach § 102 S. 2 UrhG entsprechend § 852 S. 2 BGB Ansprüche jedoch erst nach zehn Jahren von ihrer Entstehung an. Umfasst sind hiervon die Ansprüche, die dem Berechtigten zustehen, wenn der Verpflichtete durch die unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Berechtigten erlangt hat. Diese Ansprüche der Beklagten sind unverjährt und verjähren erst am 31.03.2020.‘
Nach Ablauf der Frist werden wir die Forderung nunmehr mit Nachdruck gerichtlich durchzusetzen.“
Was steht tatsächlich in dem Urteil des Amtsgerichts Itzehoe?
Das von Debcon zitierte Urteil des Amtsgerichts Itzehoe vom 22.10.2014, Az. 92 C 64/14, ist seit kurzem über die Landesrechtsprechungs-Datenbank Schleswig-Holstein im Volltext abrufbar.
Liest man die Urteilsbegründung vollständig durch, stellt sich der Sachverhalt plötzlich ganz anders dar, als dies nach dem Anschreiben von Debcon den Anschein hat.
Gegenstand des Gerichtsverfahrens: Negative Feststellungsklage
Gegenstand des Gerichtsverfahrens vor dem Amtsgericht Itzehoe war keine Schadensersatzklage gegen den Anschlussinhaber, über dessen Internet-Anschluss Filesharing betrieben worden sein soll. Gegenstand des Gerichtsverfahrens war vielmehr eine sogenannte „negative Feststellungsklage“ des Anschlussinhabers – dieser erhob Klage gerichtet auf die Feststellung, dass dem abmahnenden Filmvertrieb keine Schadensersatzansprüche zustehen.
AG Itzehoe legt sich nicht auf 10-jährige Verjährung fest
Und nun entschied das Amtsgerichts Itzehoe keinesfalls generell, dass Schadensersatzforderungen aus Filesharing erst in zehn Jahren verjähren. Im Ergebnis ließ das Amtsgericht Itzehoe vielmehr die Frage offen.
Wörtlich aus der Urteilsbegründung – Fettsetzung durch den Autor:
„Die Ansprüche der Beklagten sind nicht alle verjährt. Grundsätzlich verjähren die Ansprüche aus Urheberrechtsverletzungen gem. § 102 UrhG nach §§ 199, 195 BGB in drei Jahren, wobei die Frist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangt haben müsste. Die Verjährung begann am 31.12.2010, denn die Beklagte erlangte im Jahr 2010 Kenntnis von dem Urheberrechtsverstoß und davon, dass der Kläger Inhaber des Anschlusses war, von dem der Verstoß ausging. Mit Ablauf des 31.12.2013 lief die Verjährungsfrist für die deliktischen Schadensersatzansprüche ab. Verjährungshemmende Maßnahmen wurden nicht vorgetragen.
Ausnahmsweise verjähren nach § 102 S. 2 UrhG entsprechend § 852 S. 2 BGB Ansprüche jedoch erst nach zehn Jahren von ihrer Entstehung an. Umfasst sind hiervon die Ansprüche, die dem Berechtigten zustehen, wenn der Verpflichtete durch die unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Berechtigten erlangt hat. Diese Ansprüche der Beklagten sind unverjährt und verjähren erst am 31.03.2020.
Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er nichts durch die Urheberrechtsverletzung erlangt hat. Das Gericht kann zumindest nicht ausschließen, dass der Kläger durch den Eingriff in den Zuweisungsgehalt des von der Beklagten wahrgenommenen Rechts zur öffentlichen Verwertung des Filmwerks auf Kosten der Beklagten den Gebrauch dieses Rechts ohne rechtlichen Grund erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2010 – I ZR 68/08, GRUR 2010, 623 Rn. 33 = WRP 2010, 927 – Restwertbörse, mwN). Da die Herausgabe des Erlangten wegen seiner Beschaffenheit nicht möglich ist, weil der Gebrauch eines Rechts seiner Natur nach nicht herausgegeben werden kann, ist nach § 818 Abs. 2 BGB der Wert zu ersetzen. Der objektive Gegenwert für den Gebrauch eines Immaterialgüterrechts besteht in der angemessenen Lizenzgebühr (vgl. BGH, GRUR 2010, 623 Rn. 33). Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagten ein Lizenzschaden entstanden ist, den sie noch wegen der langen Verjährungsfrist von zehn Jahren gegen den Kläger geltend machen könnte.“
„Der Kläger hat nicht dargelegt“ – „Das Gericht kann zumindest nicht ausschließen…“: Das Gericht hält es in seinem Urteil für möglich, dass in diesem einen konkreten Einzelfall dem Filmvertrieb noch Lizenz-Schadensersatzansprüche zustehen, die erst nach zehn Jahren verjähren. Das Gericht hat keinerlei allgemeingültige Aussage getroffen, dass Schadensersatzansprüche nach Filesharing nicht nach drei Jahren, sondern erst nach zehn Jahren verjähren.
Parteimaxime im Zivilprozess
Um das Urteil verstehen zu können, muss man sich zunächst vor Augen halten, welchen Regeln der Zivilprozess folgt. Hier gilt als aller erste Regel die sogenannte „Parteimaxime“. Das Gericht befasst sich also lediglich mit demjenigen Tatsachenvortrag, den die Parteien selbst in das Verfahren einbringen. Das Gericht betreibt keinerlei eigene Tatsachenermittlung, überprüft also nicht von Amts wegen, ob der Tatsachenvortrag der Parteien möglicherweise unvollständig ist.
Hier trug der Kläger zur Begründung seiner negativen Feststellungsklage offenbar nichts zum Lizenzmodell des Beklagten Film Vertriebs vor. Offenbar unterblieb jede Beschäftigung mit der Frage, ob der Filmvertrieb den in Streit stehenden Film, der angeblich per Filesharing öffentlich zugänglich gemacht worden sein soll, lediglich als Kaufvideo zum dauerhaften Erwerb anbietet oder beispielsweise auch als Streaming-Datei für eine zeitlich beschränkte Nutzung anbietet.
Dreijährige Regelverjährung – Urteile aus Kassel und Frankfurt am Main
Auf derartige Umstände stellte beispielsweise das Amtsgericht Kassel in seinem Urteil vom 24.07.2014, Az. 410 C 625/14, ab. Wörtlich das Gericht dort in seinen Urteilsgründen:
„Die Klägerin kann für sich auch nicht die zehnjährige Verjährungsfrist des § 852 S. 2 BGB reklamieren. Nach dieser Vorschrift unterliegen diejenigen Ansprüche einer längeren Verjährung, die auf die Herausgabe des deliktisch Erlangten zielen. Es handelt sich somit um einen quasi deliktischen Bereicherungsanspruch. Diese Vorschrift findet wegen § 102 S. 2 UrhG entsprechende Anwendung. Voraussetzung ist aber, dass der Schädiger tatsächlich etwas erlangt hat. Dies kann die ersparte Lizenzgebühr sein, wenn die Wahrnehmung des Urheberrechts typischerweise nur gegen eine Lizenzgebühr eingeräumt wird (BGH, Urteil vom 27.10.2011 – I ZR 175/10 – Bochumer Weihnachtsmarkt, zit. n. Juris). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Rechtewahrnehmung bei einer Verwertungsgesellschaft lizenziert werden kann.
Hier liegen jedoch die tatsächlichen Verhältnisse anders, so dass die Grundsätze der eben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorliegend keine Anwendung finden können. Denn dem erkennenden Gericht ist kein Anbieter bekannt, der Werke der Musik oder Filmwerke dergestalt lizenziert, dass sie im Wege des Filesharings angeboten werden können.“
Mit dem gleichen Argument – keine Lizenzierung für Filesharing – lehnte offenbar auch das Amtsgericht Frankfurt am Main mit dessen Urteil vom 30.10.2014, Az. 32 C 205/14 (84), die 10-jährige Verjährung des Schadensersatzanspruches gegen den Anschlussinhaber ab.
Vollständige Lektüre des Urteils aus Itzehoe lohnt sich. Netter Versuch von Debcon, zur Zahlung zu motivieren.
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