Dashcam im geparkten Auto: Urteil LG Memmingen

Dashcam im geparkten Auto und Unterlassungsanspruch des Grundstückseigentümers – das Landgericht Memmingen entschied mit Urteil vom 14.01.2016, Az. 22 O 1983/13: Der Eigentümer eines Grundstücks hat gegen Halter und Führer eines geparkten Fahrzeugs einen Unterlassungsanspruch, gerichtet auf das Verbot, mit Hilfe einer im Fahrzeug angebrachten Dashcam Videoaufnahmen anzufertigen, die auch diejenigen Personen zeigen, die das Grundstück betreten oder verlassen. Dieses Verbot steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass Halter und Führer des Fahrzeugs keine überwiegenden Interessen geltend machen können.

Was war geschehen?

Die Kläger sind Eigentümer eines Privatgrundstücks. Die beiden Beklagten sind Halter bzw. Fahrer eines PKW. In diesem PKW ist eine Dashcam angebracht, die, durch einen Bewegungsmelder aktiviert, Videoaufnahmen anfertigt, wenn das Fahrzeug am Straßenrand geparkt ist. Durch ein kleines Schild im Wagenfenster wird auf diese Videoüberwachung hingewiesen.

Die Beklagten parkten das Fahrzeug wiederholt vor dem Grundstück der Kläger. Infolgedessen wurden die Kläger und andere Personen, die das Grundstück betraten oder verließen, regelmäßig von der im Fahrzeuginneren angebrachten und durch den Bewegungsmelder aktivierten Dashcam aufgenommen.

Die Kläger verlangten von den Beklagten deshalb unter anderem, diese Videoüberwachung zu unterlassen.

Die Beklagten machten geltend, ein rechtliches Interesse an dem Einsatz der Dashcam zu haben, da sie in der Vergangenheit mehrfach Probleme bei der Regulierung von Fahrzeugschäden gehabt hätten, was durch entsprechende Videoaufnahmen vermieden werden könne.

Wie entschied das Landgericht Memmingen zur Dashcam im geparkten Fahrzeug?

Das Gericht gab den Unterlassungsanspruch der Kläger nicht uneingeschränkt statt.

Grundsätzlich bestehe zwar ein Unterlassungsanspruch:

„Eine derartige Beobachtung des öffentlichen Straßenraums und des Zugangs zum Privatgrundstück der Kläger verstößt gegen das Recht der Kläger auf informationelle Selbstbestimmung, denn sie ist nicht gem. § 6b I BDSG gerechtfertigt.

Soweit die Beklagten der Ansicht sind, dass aus § 6b II BDSG zu folgern sei, dass die Vorschrift nur auf stationäre Kameras anzuwenden sei, so ist dem nicht zu folgen. Diese Auslegung ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen (vgl. VG Ansbach, DAR 2014, 663 ff). Zudem wird die Kamera im konkreten Fall tatsächlich auch stationär verwendet, da aus dem über längere Zeit am gleichen Ort parkenden Fahrzeug heraus gefilmt wird.“

Die Beklagten könnten sich nicht darauf berufen, in der Vergangenheit Probleme bei der Regulierung von Fahrzeugschäden gehabt zu haben:

„Selbst wenn die Videoaufnahme vom 4.9.2013 eine Sachbeschädigung seitens der Klägerin am Fahrzeug der Beklagten zeigen würde, so stünde dies dem Unterlassungsanspruch beider Kläger nicht entgegen. Es besteht nämlich insoweit ein Beweiserhebungsverbot in Bezug auf die fragliche Videoaufnahme, so dass der Nachweis der Sachbeschädigung seitens der Klägerin und eine entsprechende Wiederholungsgefahr durch die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht geführt ist. Die Videoaufnahme ist unter Verstoß gegen § 6b I BDSG erlangt, wie bereits oben ausgeführt wurde. Verbotswidrig erlangte Beweismittel sind nur ausnahmsweise verwertbar, wenn der geschützten Eigensphäre überwiegende Interessen gegenüberstehen (…) Solche überwiegenden Interessen der Beklagten liegen nicht vor. Die Zulassung einer derart rechtswidrig erlangten Videoaufnahme würde zu einer weiteren Verbreitung von Dash-Cams und daher einer dauerhaften und flächendeckenden Überwachung im öffentlichen Verkehr führen, so dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung völlig ausgehöhlt würde. Dem muss durch ein Beweiserhebungsverbot Einhalt geboten werden, sofern es nicht um wesentlich bedeutendere Rechtsgüter als den bloßen Eigentumsschutz geht.

Dem gegen das Persönlichkeitsrecht der Kläger verstoßenden permanenten Überwachungsdruck, kann schließlich nur dadurch ausreichend begegnet werden, dass auch das Bereithalten einer aufnahmebereiten Bordkamera untersagt wird, denn die betroffenen Kläger können nicht unterscheiden, ob gerade eine Aufnahme erfolgt oder nicht. Von daher geht der rechtswidrige Überwachungsdruck auch bereits von einer aufnahmebereiten Kamera aus, weshalb deren Bereithalten zum Zwecke eines effektiven Rechtsschutzes zu untersagen ist.“

Der Unterlassungsanspruch der Kläger bestehe allerdings nicht uneingeschränkt: Ein einschränkungsloses Verbot widerspreche § 6b I BDSG, der eine Überwachung dann erlaube, wenn schutzwürdige Interessen überwiegen. Eine Videoaufnahme sei beispielsweise sicher zulässig, wenn jemand auf frischer Tat gerade bei einer Sachbeschädigung betroffen werde.

Welche Auswirkung hat das Urteil des LG Memmingen auf die Praxis beim Einsatz einer Dashcam?

Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Einsatz einer Dashcam im Auto zulässig ist, und ob und unter welchen Bedingungen eine Dashcam-Videoaufzeichnung in einem Prozess als Beweismittel verwertet werden darf, beschäftigte die Gerichte in der jüngeren Zeit bereits mehrfach – und eine einheitliche Rechtsprechung ist noch nicht absehbar. Zuletzt erließ das Landgericht Landshut am 01.12.2015 unter dem Aktenzeichen 12 S 2603/15 einen Hinweisbeschluss, wonach im konkreten Fall in einem Verkehrsunfall-Gerichtsverfahren eine Dashcam-Filmaufnahmen zu Beweiszwecken verwertet werden kann, weil dort nach der Auffassung des Gerichts keine überwiegenden Interessen des Unfallgegners entgegen stehen.

Auch das Landgericht Memmingen entschied hier gegen eine Schwarz-Weiß-Lösung, indem es im Ergebnis eine Güterabwägung zwischen den Interessen der Beteiligten zur Grundlage seiner Entscheidung machte.

Dies bedeutet: Was den Einsatz einer Dashcam im Fahrzeug angeht, und was die Frage angeht, ob eine derartige Dashcam-Video Aufnahme als Beweismittel verwertet werden kann, bleibt es bis auf weiteres bei reinen Einzelfallentscheidungen. Soweit die jüngere Rechtsprechung darauf abstellt, dass es auf eine Güterabwägung zwischen den Interessen der Beteiligten ankommt, fehlt es nach wie vor an einer allgemeingültigen Entscheidung, wo die Grenze zu ziehen ist zwischen der zulässigen Dashcam-Aufnahme und der unzulässigen Aufnahme, die das Beweiserhebungsverbot und das Beweisverwertungsverbot nach sich zieht.

Die Frage an der Schnittstelle von Datenschutzrecht und Prozessrecht ist nach wie vor juristisches Neuland. Die steigende Anzahl der Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Dashcam-Problematik auseinandersetzen, zeigt, dass das Thema an praktischer Relevanz gewinnt.

 

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