Geldbuße nach Dashcam-Videoaufnahme aus dem Auto – das Amtsgericht München entschied mit Urteil vom 09.08.2017, Az. 1112 OWi 300 Js 121012/17: Das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraums mittels Dashcam stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und kann als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße geahndet werden.
Dashcam, Ordnungswidrigkeit und Geldbuße – was war geschehen?
Die Betroffene parkte am 11.08.2016 von circa 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr ihren PKW BMW X1 in der Mendelssohnstraße in München. Das Fahrzeug war vorne und hinten jeweils mit einer Videokamera ausgestattet. Die beiden Kameras fertigten laufend Videoaufzeichnungen des vor und hinter dem Fahrzeug befindlichen öffentlichen Verkehrsraums. Diese Aufzeichnungen wurden gespeichert. Auf diese Weise wurden mindestens drei andere Fahrzeuge, die sich vor oder hinter dem Straßenraum des geparkten Fahrzeugs befanden, aufgezeichnet. Die Videoaufzeichnungen wurden durch die Betroffene der Polizei übergeben, da ein anderes Fahrzeug das Fahrzeug der Betroffenen gestreift und beschädigt hatte und sie die Videoaufzeichnungen als Beweismittel vorlegen wollte.
Gegen die Betroffene wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet und ein Bußgeldbescheid erlassen wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz.
Hiergegen legte die Betroffene Einspruch ein, über den vor dem Amtsgericht München verhandelt wurde. Die Betroffene vertrat die Auffassung, durch die Aufnahme von Autokennzeichen seien keine schützenswerten Daten erhoben und gespeichert worden seien. Ihr sei es nur darauf angekommen, potentielle Täter einer Sachbeschädigung am PKW ermitteln zu können. Die einzelnen Fahrer der entsprechenden vor oder hinter dem PKW parkenden Autos seien nicht erkennbar gewesen.
Wie entschied das Amtsgericht München?
Das Gericht beurteilte das Verhalten der Betroffenen als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit und verhängte gegen sie eine Geldbuße von 150 €.
Das Recht der gefilmten Personen auf informationelle Selbstbestimmung überwiege. Das Interesse der Betroffenen an der Aufdeckung von einer potentiellen Straftat müsse hierbei zurückstehen. Das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraums verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und stelle einen schwerwiegenden Eingriff in dieses Recht dar. Es gehe, so das Gericht, nicht an, dass 80 Millionen Bundesbürger mit Kameras herumlaufen, um irgendwelche Situationen aufnehmen zu können, die eine Straftat aufdecken könnten. Eine permanente Überwachung jeglichen öffentlich Raumes durch Privatbürger sei nicht zulässig, da es in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreife, selbst bestimmen zu können, wo und wann man sich aufhält, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren und bei Behörden verwenden würden.
Bei der Bemessung der Geldbuße habe zu Gunsten der Betroffenen aber berücksichtigt werden können, dass offenbar in der Vergangenheit das Fahrzeug schon einmal beschädigt worden sei und die Betroffene subjektiv einen Anlass gehabt habe, die Kameras einzusetzen.
Dashcam zur Beweissicherung – welche Auswirkung hat das Urteil auf die Praxis?
Weiterhin ist die Dashcam-Rechtsprechung völlig uneinheitlich. Zuletzt vertrat das Oberlandesgericht Stuttgart in einem unter dem Aktenzeichen 10 U 41/17 geführten Verfahren, dass Dashcam-Aufnahmen in einem Zivilverfahren, in dem um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall gestritten wird, als Beweis dienen können. Justiz ist Ländersache – aber selbst die bayerische Rechtsprechung zu Dashcam-Aufzeichnungen ist nicht einheitlich: Gegen die Verwertbarkeit der Dashcam-Aufnahme entschieden bereits das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 12.08.2014, Az. AN 4 K 13.01634, ebenso das Amtsgericht München mit Hinweisbeschluss vom 13.08.2014, Az. 345 C 5551/14. Für eine grundsätzliche Verwertbarkeit der Dashcam-Aufnahme als Beweismittel entschieden das Amtsgericht Nürnberg mit Urteil vom 08.05.2015, Az. 18 C 8938/14, das Landgericht Landshut mit Beschluss vom 01.12.2015, Az. 12 S 2603/15 und im Ergebnis auch das Landgericht Memmingen mit Urteil vom 14.01.2016, Az. 22 O 1983/13.
[Ergänzung 04.10.2017:] Einen Tag nach dem Amtsgericht München entschied das Oberlandesgericht Nürnberg mit Hinweisbeschluss vom 10.08.2017, Az. 13 U 851/17, dass dem Interesse des Beweisführers an der Auswertung einer Dashcam-Aufzeichnung jedenfalls dann besonders Gewicht beizumessen ist, wenn keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen, wenn der Beweisführer also auf die Verwertung der Dashcam-Aufnahme angewiesen ist, um sein Rechtsschutzziel erreichen zu können. Entscheidend soll also eine Güterabwägung im Einzelfall sein.
Gegen eine uneingeschränkte, anlasslose und vorsorgliche Überwachung des Verkehrsraumes aus dem Auto heraus mittels Dashcam-Videoaufzeichnung sprechen zwei Erwägungen: Niemand außer derjenigen Person, die die Dashcam einsetzt, weiß, ob und wie lange die Aufnahmen gespeichert werden und wo die Filme am Ende landen. Und weiter werden die Auflösung und die Aufnahmequalität auch einfacher und billiger Videokameras immer besser, werden die Dashcam-Aufnahmen also immer detailgenauer, können selbst Personen im Hintergrund identifiziert werden. Die multimediale Dokumentation des Lebens der anderen hatten wir bereits zur Genüge. Halten wir uns einmal vor Augen: Derartige Dashcam-Aufnahmen sind keine Hobby-Dokumentarfilme, sind keine Filmkunst. Ihnen liegt schlicht der Gedanke zugrunde, dass jeder, der des Weges kommt, ein potentieller Straftäter ist, potentiell eine Sachbeschädigung im Schilde führt – und deshalb schon alleine präventiv zu Beweiszwecken gefilmt werden muss. Anlasslose Dashcam-Überwachungsaufnahmen sind ein Armutszeugnis für diejenigen, die sie anfertigen, und ein Armutszeugnis für die Gesellschaft, in der sie angefertigt werden.
[Überarbeitet 04.10.2017]
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