Abmahnungsmissbrauch: BGH zu Indizien in der Unterlassungserklärung

Der Bundesgerichtshof entschied mit Urteil vom 15.12.2011, Az. I ZR 174/10 zum Abmahnungsmissbrauch: Schlägt der Abmahnende dem wegen eines Wettbewerbsverstoßes Abgemahnten in einer vorformulierten Unterlassungserklärung für jeden Fall der Zuwiderhandlung das Versprechen einer Vertragsstrafe vor, die unabhängig von einem Verschulden verwirkt sein soll, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Abmahnung missbräuchlich und damit unzulässig ist. 

Was war geschehen?

Die Klägerin hatte die Beklagte unter anderem mit dem Vorwurf, fehlerhaft mit einer Garantie zu werben, abgemahnt. In der vorformulierten Unterlassungserklärung hatte die Klägerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe in Höhe von 5.100 € vorgesehen. Weiter hatte die Klägerin in dieser vorformulierten Erklärung die Erstattung der Abmahnkosten unter derselben Ziffer wie die Unterlassungsverpflichtung im eigentlichen Sinne aufgeführt. Zudem hatte die Klägerin die Fälligkeit der an ihren Anwalt zu zahlenden Abmahnkosten durch Großschrift und Unterstreichung hervorgehoben. Die Beklagte hatte zwar eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben, den Ausgleich der Abmahnkosten jedoch verweigert.

Wie entschied der BGH?

Der BGH bestätigte wie zuvor in der Berufungsinstanz bereits das OLG Hamm mit  Urteil vom 17.08.2010, Az. I-4- U 62/10, dass unter sorgfältiger Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände von einem Rechtsmissbrauch auszugehen sei. Der BGH führte für einen Rechtsmissbrauch folgende Anhaltspunkte auf:

  • Die geforderte Vertragsstrafe von 5.100 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung ist im Blick auf das Gewicht der in Rede stehenden Wettbewerbsverstöße sehr hoch.
  • Die Vertragsstrafe sollte nach der vorformulierten Unterlassungserklärung unabhängig von einem Verschulden für jeden Fall der Zuwiderhandlung entrichtet werden.
  • Die Vertragsstrafe sollte nach der vorformulierten Unterlassungserklärung unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs entrichtet werden.
  • Die vorformulierte Unterlassungserklärung ist so weit gefasst, dass darunter auch gänzlich andere als die abgemahnten Verstöße fallen und jedwede gesetzwidrige Belehrung eines Verbrauchers eine Zuwiderhandlung darstellt.
  • Die Erstattung der Abmahnkosten wird gleichrangig mit der Unterwerfungserklärung unter derselben Ziffer der vorformulierten Unterlassungserklärung aufgeführt und erweckt den unzutreffenden Eindruck, Unterwerfungserklärung und Kostenerstattung gehörten zusammen.
  • Die Fälligkeit der an den Anwalt zu zahlenden Gebühren wird durch Großschrift und Unterstreichung hervorgehoben.
  • Die vorformulierte Unterlassungserklärung sieht nicht den Sitz der Beklagten oder der Klägerin, sondern den Sitz des Rechtsanwalts der Klägerin als Gerichtsstand vor.

Der BGH führte ergänzend aus, schon bei einer einzigen Abmahnung könne von einem Rechtsmissbrauch auszugehen sein, wenn hinreichende Anhaltspunkte für sachfremde Motive vorlägen.

Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf die Praxis?

Bei einer Bewertung des BGH-Urteils ist zu berücksichtigen, dass erst eine Gesamtbetrachtung der Einzelumstände zu der Entscheidung, es liege Abmahnungsmissbrauch vor, geführt hat. Das Urteil darf daher nicht zu der vorschnellen Annahme verleiten, bereits ein oder zwei der festgestellten Indizien würden nun in jedem Fall den Abmahnungsmissbrauch begründen.

Indes: Das Urteil beinhaltet einen wertvollen Indizienkatalog und bildet eine gute Argumentationsgrundlage für die eigene Rechtsverteidigung.

Mehr noch sind die Indizien, die der BGH hier auf dem Feld des Wettbewerbsrechts für einen Abmahnungsmissbrauch zusammengetragen hat, auch auf Abmahnungen aus anderen Rechtsgebieten anzuwenden – so etwa auf Filesharing-Abmahnungen. Möglicherweise sehen sich nun einige Kanzleien gehalten, ihre Textbausteine zu überarbeiten…