Bewertungsportal: Prüfpflicht bei Fake-Bewertung und Fake-Beschwerde

Negativbewertung im Internet und Prüfpflicht des Portalbetreibers – der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil vom 09.08.2022, Az. IV ZR 1244/20: Die Rüge eines bewerteten Hotelbetreibers, der Bewertung liege kein Gästekontakt zu Grunde, reicht grundsätzlich aus, um eine Prüfpflicht des Hotelbewertungsportals auszulösen.

Das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken entschied mit Urteil vom 09.09.2022, Az. 5 U 117/21: Die wahrheitswidrige Behauptung eines Arztes, der Bewertung liege kein Behandlungsverhältnis zugrunde, löst keine Prüfpflicht des Ärztebewertungsportals aus.

Sachverhalt: Worum geht es?

_ BGH: Beschwerde gegen Fake-Hotelbewertung

Die Beklagte betreibt ein Online-Reiseportal mit Bewertungsfunktion. Für bis zu zehn veröffentlichte deutschsprachige Hotelbewertungen pro Monat erhalten die Nutzer Flugmeilen als Prämie. Die Nutzungsrichtlinien der Beklagten sehen vor, dass eine Leistung nur bewertet werden darf, wenn sie auch in Anspruch genommen wurde.

Die Klägerin betreibt einen Ferienpark mit 1.180 Wohneinheiten und 4.000 Betten. Sie wendet sich gegen mehrere negative, teils mit Fotos versehene Bewertungen im Portal der Beklagten mit der Behauptung, die Bewertenden seien keine Gäste ihrer Freizeiteinrichtung gewesen.

_ OLG Saarbrücken: Fake-Beschwerde gegen Arztbewertung

Die Beklagte bietet den Internetdienst „Local Reviews“ an. Der Kläger ist Fachzahnarzt für Oralchirurgie mit eigener Praxis.

Eine bei der Beklagten registrierte Nutzerin stellte im Dezember 2020 im „Local Listing“ des Klägers eine Bewertung ein, in der sie eine verweigerte Behandlung monierte.

Es lohnt sich, den Sachverhalt, wie er in der Entscheidung dargestellt wird, im Detail zu betrachten.

Die Bewertung beinhaltet unter anderem:

„Update : Um 22 . Dezember 2020 um 19.41 Uhr rief mich Herr M. an, und drohte mir mit seinem Anwalt, sollte ich die negative Bewertung nicht entfernen.

Nichts gegen Herr M., doch wenn der gute Mann seinen Narkosearzt nicht im Griff hat, kann ich leider nichts dafür .

Der Termin am 17 . Dezember stand fest, doch sein Narkosearzt hat mich leider mit Schmerzen stehen lassen.

Dann muss der das mit dem Narkosearzt klären .

Ich kann keine positive Bewertung geben, wenn nichts positives ist.

PS : Der M. hat eine Anzeige auf der Polizei gemacht, wegen Verleumdung . Wegen einer Bewertung mit dem die Person nicht umgehen kann . Also da frag ich mich, ob der minderbemittelt ist .

Ganz normal ist der nicht .“

(Hinweis: Rechtschreibung und Interpunktion entsprechen der verlinkten Darstellung im Urteil, wie es im Portal „Bürgerservice Saarland“ abrufbar ist.)

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers beanstandeten diese Bewertung am 28.12.2020 über die Online-Formulare der Beklagten. Sie gaben an, zu der Bewertung gebe es „nach Prüfung der Kundenvorgänge keinen korrelierenden Kundenvorgang“. Die Bewertung könne „keinem der Darstellung des Bewerters korrelierendem Vorfall zugeordnet werden“. Obwohl alle zurückliegenden Vorgänge gesichtet und alle nach außen auftretenden Mitarbeiter befragt worden seien, sei eine Zuordnung nicht möglich.

Die Beklagte leitete diese Beanstandung an die Nutzerin weiter. Diese reagierte hierauf mit einer E-Mail vom 31.12.2020. Darin verwahrte sie sich mit Nachdruck gegen die Behauptung, sie stehe in keinem Verhältnis zum Kläger und sei nicht Patientin dort gewesen. Weiter erläuterte sie aus ihrer Sicht die näheren Umstände des von ihr bewerteten Vorfalls.

Mit E-Mail vom 12.01.2021 wandten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers erneut an die Beklagte. Sie erinnerten an ihre Beanstandung der Bewertung und behaupteten, dem Kläger sei deren „Verfasser nicht bekannt“, weshalb nur die Beklagte als Störer „in Haftung genommen“ werde.

Die Beklagte leitete am 13.01.2021 die Stellungnahme der Nutzerin an die Prozessbevollmächtigten des Klägers weiter.

Diese erklärten sodann in einer E-Mail vom 14.01.2021, „zu keiner Zeit“ sei „das Patientenverhältnis, sondern nur die Schilderung in der Bewertung zurückgewiesen worden“. Weiter vertraten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Auffassung, die Bewertung enthalte „nachweislich“ falsche Tatsachenbehauptungen, weshalb die Beklagte verpflichtet sei, die streitgegenständliche Bewertung zu entfernen.

Das lehnte die Beklagte mit E-Mail vom 14.01.2021 ab. Hieran hielt sie auch nach einer Abmahnung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 02.02.2021 fest: Es sei keine unschwer, also ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Prüfung zu erkennende Rechtsverletzung festzustellen Die Prozessbevollmächtigten des Klägers meinten daraufhin mit E-Mail vom 11.02.2021, die Beklagte habe die Pflicht, auf die erhobene Beanstandung hin ein Prüfverfahren einzuleiten, und behaupteten erneut, der Verfasser der Bewertung sei nicht bekannt.

Ergebnis: Wie entschieden die Gerichte?

_ BGH: Beschwerde setzt Prüfpflicht in Gang

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs folgt aus einer Beanstandung des Bewerteten eine Prüfpflicht auf Seiten des Bewertungsportals. Kommt der Portalbetreiber dieser Prüfpflicht nicht nach, wird vermutet, dass die Beanstandung zu Recht erfolgt ist:

„Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin Beanstandungen erhoben hat, die so konkret gefasst sind, dass Rechtsverstöße auf der Grundlage ihrer Behauptungen unschwer zu bejahen sind und bei der Beklagten Prüfpflichten ausgelöst haben. Diesen Prüfpflichten ist die Beklagte nicht nachgekommen, weshalb davon auszugehen ist, dass den angegriffenen Bewertungen kein Gästekontakt zugrunde liegt.“

Die inhaltlichen Anforderungen an die Beanstandung sind dabei nicht hoch:

„Entgegen der Ansicht der Revision reicht eine Rüge des Bewerteten, der Bewertung liege kein Gästekontakt zugrunde, grundsätzlich aus, um Prüfpflichten des Bewertungsportals auszulösen. Zu weiteren Darlegungen, insbesondere einer näheren Begründung seiner Behauptung des fehlenden Gästekontakts, ist er gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht verpflichtet. Dies gilt nicht nur in dem Fall, dass die Bewertung keinerlei tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibende Angaben enthält und dem Bewerteten daher eine weitere Begründung schon gar nicht möglich ist, sondern auch dann, wenn für einen Gästekontakt sprechende Angaben vorliegen (Klarstellung zu Senatsurteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15 , BGHZ 209, 139 Rn. 26 ). Denn der Bewertete kann diese Angaben regelmäßig nicht überprüfen und damit den behaupteten Gästekontakt nicht sicher feststellen. Einer näheren Begründung der Behauptung des fehlenden Gästekontakts bedarf es nur, wenn sich die Identität des Bewertenden für den Bewerteten ohne Weiteres aus der Bewertung ergibt. Im Übrigen gilt die Grenze des Rechtsmissbrauchs.“

Der Verstoß gegen die Prüfpflicht führt dann unmittelbar zu der Vermutung, dass die Beanstandung sachlich richtig ist:

„Die Rügen der Klägerin haben eine Prüfpflicht der Beklagten ausgelöst, der diese nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht nachgekommen ist. Die Beklagte hat jede Nachfrage bei ihren Nutzern verweigert. Es ist daher davon auszugehen, dass den angegriffenen Bewertungen kein Gästekontakt zugrunde liegt.“

_ OLG Saarbrücken: Fake-Beschwerde lässt Prüfpflicht entfallen

Auch das Oberlandesgericht Saarbrücken legt zugrunde, dass eine Beschwerde des Bewerteten eine Prüfpflicht auf Seiten des Bewertungsportals auslöst:

„Ist der Provider mit der Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die richtig oder falsch sein kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für die Äußerung verantwortlichen Nutzers erforderlich (BGH, Urteil vom 25. November 2011 – VI ZR 93/10 Rn. 24, aaO.). Stellt dieser die Berechtigung der Beanstandung substantiiert in Abrede und ergeben sich deshalb berechtigte Zweifel, ist der Provider grundsätzlich gehalten, dem Betroffenen dies mitzuteilen und gegebenenfalls Nachweise zu verlangen, aus denen sich die behauptete Rechtsverletzung ergibt. Bleibt eine Stellungnahme des Betroffenen aus oder legt er gegebenenfalls erforderliche Nachweise nicht vor, ist eine weitere Prüfung nicht veranlasst. Ergibt sich aus der Stellungnahme des Betroffenen oder den vorgelegten Belegen auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Äußerung des Nutzers eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts, ist der beanstandete Eintrag zu löschen (BGH, Urteil vom 25. November 2011 – VI ZR 93/10 Rn. 27, aaO.).“

Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die beklagte Plattformbetreiberin hier ihren Prüfpflichten genügt:

„Auf die Beanstandung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28. Dezember 2020 hat die Beklagte eine Prüfung eingeleitet, ob die streitgegenständliche Bewertung rechtswidrig ist, und die Verfasserin der Bewertung um eine Stellungnahme gebeten.“

Dazu sei sie objektiv nicht einmal verpflichtet gewesen, weil der bewertete Arzt habe das Patientenverhältnis der Wahrheit zuwider abgestritten habe:

„Denn in der Beanstandung – wie auch nachfolgend in den E-Mails vom 12. Januar 2021 (Anlage B 5) und vom 11. Februar 2021 (im Anlagenkonvolut B 8) – wurde wahrheitswidrig behauptet, dem Kläger sei der Verfasser der Bewertung nicht bekannt, womit bei der Beklagten – bewusst – der falsche Eindruck erweckt wurde, es bestehe überhaupt kein Patientenverhältnis der Nutzerin zum Kläger. Die auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 3. August 2022 von den Prozessbevollmächtigten des Klägers wiederholte, bereits erstinstanzlich im Schriftsatz vom 28. September 2021 (dort Seite 6 f., Bl. 75 f. d. A.) aufgestellte Behauptung, es sei nicht beabsichtigt gewesen, ein Patientenverhältnis zu bestreiten, entspricht nach Überzeugung des Senats gleichfalls nicht der Wahrheit, weil die Beanstandung anders nicht verstanden werden kann und die Angaben in den E-Mails vom 12. Januar 2021 und vom 11. Februar 2021 vor dem Hintergrund der ursprünglichen Beanstandung mit einem ‚Versehen‘ nicht zu erklären sind. Vielmehr spricht alles dafür, dass hier der Versuch unternommen wurde, eine Löschung der Bewertung zu erreichen, indem gezielt die für die Zulässigkeit der Bewertung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entscheidende Tatsachengrundlage – Bestehen eines Behandlungsverhältnisses, vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15 Rn. 36, BGHZ 209, 139 – der Wahrheit zuwider in Abrede gestellt wurde. Indes können Beanstandungen gegenüber einem Hostprovider, die auf (bewusst) falschen Tatsachenvortrag gestützt werden, Prüfungspflichten des Hostproviders nicht auslösen, weil falsche tatsächliche Behauptungen objektiv ungeeignet sind, die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Bewertung zu begründen.“

Zu weiteren Prüfungen sei die Plattformbetreiberin nicht mehr verpflichtet gewesen:

„Dessen ungeachtet hatte die Beklagte durch die überobligatorisch eingeleitete Prüfung und die daraufhin von der Nutzerin abgegebene ausführliche Stellungnahme den Sachverhalt so weit aufgeklärt, wie es möglich und geboten war. Daher brauchte sie auf die Beanstandung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14. Januar 2021, die sich erstmals inhaltlich mit der Bewertung auseinandersetzte, keine weitere Sachaufklärung mehr zu betreiben, denn die unterschiedlichen Standpunkte des Klägers und der Nutzerin waren ihr bereits bekannt. Es ist für den Senat nicht erkennbar, warum die Beklagte – wie der Kläger meint – in dieser Situation nochmals gehalten gewesen sein soll, eine weitere Stellungnahme der Nutzerin einzuholen, nachdem diese das tatsächliche Geschehen, das ihrer Bewertung zugrunde lag, sowohl in der Bewertung selbst als auch in ihrer E-Mail vom 31. Dezember 2020 (Anlage B 4) bereits eingehend aus ihrer Sicht geschildert hatte. Der Kläger zeigt auch nicht konkret auf, welches Sachverhaltselement noch weiterer Aufklärung bedurft hätte, zumal sich dem Senat nicht erschließt, warum sich aus einer zusätzlichen und ergänzenden Stellungnahme der Nutzerin etwas für den Standpunkt des Klägers Günstiges hätte ergeben können. Jedenfalls ist die der Beklagten im Rahmen ihrer Prüfpflichten obliegende Aufklärung des Sachverhalts kein Selbstzweck, weshalb sie auf die inhaltliche Beanstandung der Prozessbevollmächtigten des Klägers hin die Nutzerin nicht nochmals zu einer Stellungnahme aufzufordern brauchte.“

Auswirkung auf die Praxis

Gegen Fake-Bewertungen kann man vorgehen, mit Fake-Verteidigung kommt man aber nicht weit – so lassen sich die beiden Urteile zusammenfassen.

Auch die Betreiber der Bewertungsplattformen haben ihren Beitrag zu leisten, dass ihre Seiten keine Spielwiese für Flegel, Lügner und Querulanten werden. Das Urteil des Bundesgerichtshofs zeigt, dass sie sich ihrer Verantwortung nicht entziehen können, indem sie den – häufig über ihren Kopf hinweg bewerteten – Unternehmen bei Beschwerden allerhand formale Hindernisse in den Weg stellen und sich am Ende als unzuständig erklären.

Der Versuch aber, eine schlechte Bewertung mit Tricksereien und Unwahrheiten aus der Welt zu schaffen, führt ins Abseits. Nicht nur die Plattformen können sich dann in bequemes Nichtstun zurückziehen. Das Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken zeigt: Auch bei Gericht kommen solche untauglichen Versuche nicht gut an. Am Ende muss man sich nämlich fragen, warum mit der Bewertung auch die Bezeichnung des Arztes als „minderbemittelt“ und „nicht ganz normal“ in der Welt geblieben ist. Von guter Kinderstube zeugen solche Worte jedenfalls nicht – und nein, die Rede ist dabei nicht von der Kinderstube des Arztes.

 

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