BGH-Urteil: Videoüberwachung zum Nachweis von Untervermietung

Videoüberwachung zum Nachweis unerlaubter Untervermietung und Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess – der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil vom 12.03.2024, Az. VI ZR 1370/24: Heimliche Videoaufnahmen verletzen das Recht der Mietparteien auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung und können im Räumungsprozess nicht als Beweismittel verwertet werden.

Sachverhalt: Worum geht es?

Das Geschehen liegt bereits zurück – der Sachverhalt spielte sich im Jahr 2017 ab, also noch vor Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung(DSGVO) und zu Zeiten des alten Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG): Ein landeseigenes Berliner Wohnungsunternehmen als Vermieterpartei verdächtigte mehrere ihrer Mieterinnen, zwei der Wohnungen unerlaubt an andere Personen unterzuvermieten. Um den unerlaubten Gebrauch der Wohnungen beweisen zu können, beauftragte die Vermieterin eine Detektei, gegenüber der jeweiligen Wohnungstür eine Kamera anzubringen und ihre Aufzeichnungen zu protokollieren. Die Videoüberwachung zog sich vom 09.11.2024 bis zum 11.11.2017 hin. Während dieser Wochen öffneten regelmäßig Personen, die nicht die Mieterinnen waren, mit einem eigenen Schlüssel die Wohnungstüren und traten ein. Auf den Videoaufzeichnungen waren nicht nur konnte die Gesichter und die Kleidung der Personen zu erkennen, die die Wohnungen betraten und verließen. Bei geöffneter Wohnungstür waren auch die dahinterliegenden Eingangsbereiche der Wohnungen zu erkennen.

Die Vermieterin kündigte daraufhin außerordentlich und ordentlich und verlangte die Räumung der Wohnungen.

Die Mieterinnen weigerten sich jedoch, die Wohnungen herauszugeben. Das Wohnungsunternehmen erhob Räumungsklage. Das Amtsgericht Berlin-Mitte (Urteil vom 05.11.2018, 123 C 108/15) gab den Räumungsklagen zunächst statt. Das Landgericht Berlin (Berufungsurteil vom 12.02.2020, Az. 67 S 369/18) hob das Urteil hinsichtlich der Räumung auf.

Die Vermieterin verfolgte den Räumungsanspruch in der Revisionsinstanz vor dem Bundesgerichtshof weiter.

Ergebnis: Wie entschied der Bundesgerichtshof?

Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landgerichts und wies die Berufung zurück.

_ Verdacht rechtfertigt Videoüberwachung nicht

Allein der Verdacht auf einen Vertragsverstoß der Mieter genügt nicht, um den erheblichen Eingriff in das Recht in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) durch die Videoüberwachung zu rechtfertigen. Die Videoüberwachung wirke sich über die Mietparteien hinaus auch auf unbeteiligte Personen aus:

„Von der Videoüberwachung betroffen sind nicht nur die Beklagten, sondern auch etwaige Untermieter und Besucher der Wohnungen. Eine Beschränkung der Abwägung auf die Interessen der Parteien des Rechtsstreits ist im Rahmen der Prüfung, ob die Videoüberwachung nach den Erlaubnistatbeständen des Bundesdatenschutzgesetzes aF zulässig war, nicht vorzunehmen (vgl. Senatsurteil vom 15. Mai 2018 – VI ZR 233/17, BGHZ 218, 348 Rn. 25 f.).“

[juris Rn. 23]

Der Eingriff in die Rechte der betroffenen Personen durch die Videoüberwachung sei erheblich:

„Die Videoüberwachung beeinträchtigt das Recht der von ihr Betroffenen auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten erheblich (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2019 – C-708/18, ZWE 2020, 337 Rn. 55 – Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA). Die über einen Zeitraum von mehr als vier Wochen gefertigten Aufzeichnungen bilden nicht nur den jeweiligen Treppenhausbereich unmittelbar vor den Wohnungseingangstüren, sondern auch den Bereich innerhalb der Wohnungen ab, der bei geöffneter Tür für die Kameras einsehbar war. Die Aufzeichnungen dokumentieren lückenlos, wann, wie oft und in welcher Begleitung, in welcher Stimmung, mit welchem Gesichtsausdruck und in welcher Bekleidung die Betroffenen die jeweilige Wohnung betreten, verlassen oder auch nur die Wohnungstür geöffnet haben. Sie bilden auch ab, wie sie sich dabei verhalten haben. Aufgrund der Heimlichkeit der Aufzeichnungen hatten die Betroffenen keine Möglichkeit, hiergegen Abwehrstrategien zu entwickeln und selbst zu entscheiden, ob sie diese ihrem Privatleben zuzurechnenden Informationen preisgeben wollen oder nicht. Zwar muss der Einzelne außerhalb des besonders geschützten Bereichs seiner verschlossenen Wohnung damit rechnen, Gegenstand von Wahrnehmungen Dritter zu werden. Im nicht für die Allgemeinheit zugänglichen Bereich des Treppenhauses eines Mehrparteiengebäudes gilt dies aber nur insoweit, als sich Dritte wahrnehmbar dort befinden (vgl. zur Relevanz der Rahmenbedingungen beim gesprochenen Wort: BVerfGE 106, 28, 40 f., juris Rn. 34).“

[juris Rn. 25]

Der Vermieterin hätten mildere bzw. grundrechtsschonende Maßnahmen zur Verfügung gestanden, um ihren Verdacht zu bestätigen. Anstatt heimlich Videokameras zu installieren, hätte sie gezielte Scheinanmietungen durchführen oder Nachbarn, Hauspersonal und andere Dritte befragen können. Zudem habe die wochenlange Überwachung keinen verlässlichen Aufschluss über die Identität der gefilmten Personen oder den Grund ihres Aufenthalts geliefert.

Die Güterabwägung zwischen dem Interesse des Wohnungsunternehmens als Vermieterpartei, den Verstoß gegen den Mietvertrag gerichtsfest nachweisen zu können, und dem Interesse der Mieterinnen und der übrigen betroffenen Personen, nicht heimlich beobachtet und überwacht zu werden, gehe zum Nachteil der Vermieterseite aus. Die heimliche Videoüberwachung sei daher rechtswidrig gewesen.

_ Beweisverwertungsverbot

Weil die Videoüberwachung rechtswidrig gewesen sei, unterliege sie einem Beweisverwertungsverbot. Die Videoaufnahmen durften also nicht als Beweismittel berücksichtigt werden:

„Die Erkenntnisse, die die Klägerin durch die von der Privatdetektivin durchgeführte rechtswidrige Videoüberwachung der Wohnungseingangsbereiche gewonnen und in Form von Überwachungsprotokollen in den Rechtsstreit eingeführt hat, dürfen nach der im Lichte der Verfassung auszulegenden Bestimmung in § 286 Abs. 1 ZPO, die aufgrund der Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b DSGVO zur Anwendung berufen ist […] und den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Satz 4 DSGVO entspricht […], bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt werden. Die gerichtliche Verwertung dieser Erkenntnisse verletzte das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG sowie ihr Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG […].“

[juris Rn. 31]

Da unerlaubten Untervermietungen von der Vermieterin nicht bewiesen werden konnten, waren deren Kündigungen unwirksam und die Räumungsklage wurde vom Bundesgerichtshof abgewiesen.

Auswirkung auf die Praxis

Heimliche Videoaufnahmen, die bereits in der Zeit des alten BDSG unwirksam waren, sind erst recht unter der DSGVO seit dem 18.05.2018 rechtswidrig. Nichts anderes gilt übrigens für heimliche Audioaufzeichnungen, früher mittels in der Reverstasche verborgenem Diktiergerät, heute mittels Smartphone. Der Slogan vom „Vorsprung durch Technik“ gilt jedenfalls vor Gericht nicht immer.

 

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