Schadensersatz für beschlagnahmte Computer-Hardware nach Verfahrenseinstellung

Sechs Uhr am Morgen, die Wohnung ist voller Polizei, vielleicht ist auch ein Hund dabei: Hausdurchsuchung. Die Beamten stellen den PC, die externe Festplatte, das Smartphone und die USB-Sticks sicher und nehmen die Hardware mit. Nach mehreren Monaten wird das Verfahren eingestellt, weil die Ermittlungen keinen Tatnachweis erbracht haben. Oder noch später endet ein Gerichtsverfahren mit einem Freispruch. Können Beschuldigte für die Sicherstellung oder Beschlagnahme ihrer Hardware Schadensersatz verlangen?

Beschlagnahmedauer: Theorie und Praxis

Die Theorie bei der Sicherstellung oder Beschlagnahme von IT-Hardware: Die Ermittlungsbehörden ziehen von den sichergestellten Festplatten und anderen Speichermedien Images und geben die Geräte zurück. Das Amtsgericht Reutlingen entschied mit Beschluss vom 05.12.2011, Az. 5 Gs 363/11, dass die Beschlagnahme von Festplatten zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit Ablauf von drei Werktagen aufzuheben ist. Nur das Image der Festplatten bleibt bei den Ermittlungsbehörden.

Im konkreten Fall ging es um Festplatten, die Teil eines Dedicated Servers waren und auf denen auch unbeteiligte Dritte ihre Daten abgelegt hatten:

„Die Herstellung von 1:1 Kopien, die beweissichere Anfertigung eines Datenträgerabbilds (forensische Duplikation) nur mittels anerkannter forensisch-technischer Verfahren und entsprechender Software und ‚Toolkits‘ (…) hat unverzüglich zu geschehen.

(…)

Der tatsächliche (physikalische) Zugriff auf solche Server-Hardware ist freilich wegen der möglichen Betroffenheit Dritter unbedingt auf ein Minimum zu beschränken, soweit durch den tatsächlichen Zugriff auf die Festplatten und andere Hardware die Funktion des Servers beeinträchtigt oder unterbunden wird.“

Die Praxis: Häufig erst nach monatelanger Wartezeit gibt es die Hardware zurück, wenn das Ermittlungsverfahren mangels Tatnachweises eingestellt wird. Bis dorthin kann sich die beschuldigte Person entscheiden, ob sie offline bleiben oder sich lieber ein Ersatzgerät beschaffen will.

Vermögensschaden durch Sicherstellung oder Beschlagnahme von Hardware

Nach § 2 Strafverfolgungsentschädigungsgesetz (StrEG) wird die beschuldigte Person aus der Staatskasse entschädigt, soweit sie freigesprochen oder das Verfahren gegen sie eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen sie ablehnt, wenn die beschuldigte Person durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder eine andere Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat. Zu den „anderen Strafverfolgungsmaßnahmen“ zählen unter anderem Sicherstellung und Beschlagnahme.

Wird der PC, das Smartphone oder andere Hardware beschlagnahmt oder sichergestellt, kann die beschuldigte Person dieses Gerät bis zur Rückgabe nicht benutzen. Für den Vermögensschaden infolge des Nutzungsausfalls kann die beschuldigte Person Schadensersatz geltend machen. Allerdings: Der Kauf eines Ersatzgerätes oder der Wertverlust, den die Hardware während der Sicherstellung oder Beschlagnahme erlitten hat, werden nicht ersetzt.

Weitere Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch: Der betroffenen Person darf kein anderes (Ersatz-)Gerät zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden haben. Kein Ersatz besteht in der Möglichkeit, am Arbeitsplatz online zu gehen.

Eine Entschädigung für die Beschlagnahme oder Sicherstellung des Computers enthält folglich nur diejenige beschuldigte Person, bei der die Polizei sämtliche Geräte mitgenommen hat. Das dürfte in der Praxis freilich der Regelfall sein. Die Höhe der Entschädigung wird allerdings nur anhand der entgangenen Nutzung eines Geräts berechnet.

Höhe des Schadensersatzes für Beschlagnahme oder Sicherstellung von Hardware

Das Landgericht Stuttgart entschied mit Urteil vom 15.05.2009, Az. 15 O 206/08: Sind die Computer bereits mehrere Jahre alt, so beträgt der tägliche Nutzungswert 1,50 €, ausgehend von Mietpreisen für einfache Geräte zwischen 3 und 4 Euro täglich

Zur Ersatzfähigkeit dem Grunde nach führte das Gericht in RN 18 und 19 der Entscheidungsgründe aus:

„Die Möglichkeit, einen Computer zu nutzen, ist demnach eine entschädigungsfähige Vermögensposition. Nach den heutigen Lebensumständen ist die Nutzung eines Computers wesentlicher Bestandteil der eigenwirtschaftlichen Lebenshaltung.

(…)

Nach alledem ist eine Entschädigung jedoch nur dann zu gewähren, wenn dem Betroffenen nicht ein Zweitgerät zur Verfügung steht. Erforderlich zur eigenwirtschaftlichen Lebensführung ist in der Regel nur die Nutzung eines Computers, nicht die Nutzung mehrerer Geräte.“

Und zur Anspruchsberechtigung der beschuldigten Person in RN 21:

„Um die entgangene Nutzungsmöglichkeit als Schaden geltend machen zu können, muss der Betroffene auch nach dem StrEG nicht Eigentümer sein. Es genügt, wenn er neben oder statt dem Eigentümer zur Nutzung berechtigt ist. Ein zu zahlendes Nutzungsentgelt ist gegebenenfalls bei der Höhe der Entschädigung zu berücksichtigen.“

Zur Berechnung führte das Gericht in RN 24 der Entscheidungsgründe aus:

„Diese Summe beruht auf einer Schätzung des Gerichts nach § 287 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass nicht die Nutzung mehrerer, sondern nur eines Geräts ersatzfähig ist. Als Anhaltspunkt für die Bewertung dieser Nutzung können marktübliche Mietpreise dienen. Nach Kenntnis des Gerichts sind die vom Kläger angegebenen und vom beklagten Land als solche nicht bestrittenen Langzeit-Mietpreise für einfache Geräte zwischen 3 und 4 Euro täglich zutreffend. Von diesem Wert ausgehend ist ein Abschlag für den in diesem Betrag enthaltenen – nicht erstattungsfähigen – Gewinn vorzunehmen. Zu berücksichtigen ist weiter, dass selbst die einfachen auf dem Markt erhältlichen Mietcomputer leistungsstärker sind als die für eine durchschnittliche Nutzung – wie der des Klägers – erforderliche. Entscheidend für die konkrete Bewertung des beim Kläger entstandenen Nutzungsausfallschadens ist, dass er selbst angegeben hat, dass die von ihm verwendeten Computer bereits mehrere Jahre alt waren. Diesen Überlegungen zufolge setzt das Gericht einen täglichen Nutzungswert von 1,50 Euro an, für 261 Tage somit den Erstattungsbetrag von 391,50 Euro.“

Das Oberlandesgericht München entschied mit Beschluss vom 23.03.2010, Az. 1 W 2689/09: In der Regel unbedenklich ist eine Schadensschätzung auf 40 % der üblichen Miete. Im konkreten Fall schätzte der Senat den täglichen Nutzungswert für ein Gerät auf eine Größenordnung von etwa 2,30 € täglich.

Zur Berechnung führte das Gericht aus:

„Desweiteren kann in den Fällen eines entschädigungspflichtigen entgangenen Gebrauchsvorteils zwar der marktübliche Mietpreis einer Sache als Ausgangspunkt für die Schadensschätzung nach § 287 ZPO herangezogen werden, dieser ist jedoch um die Gewinnspanne des Vermieters und die bei privater Nutzung nicht anfallenden Kosten zu bereinigen, da es nicht auf das Reparationsinteresse, sondern auf das Kompensationsinteresse ankommt. In der Regel unbedenklich ist eine Schadensschätzung auf 40 % der üblichen Miete (…).“

Achtung kurze Fristen!

Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluss, der das Verfahren abschließt; § 8 Abs. 1 S. 1 StrEG.

Hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt, so entscheidet nach § 9 Abs. 1 S. 1 das Amtsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft in einem gesonderten Verfahren über die Entschädigungspflicht. In diesem Fall setzt die gerichtliche Entscheidung über die Entschädigungspflicht einen Antrag des Beschuldigten voraus. Dieser Antrag ist nach § 9 Absatz 1 Satz 4 StrEG innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Mitteilung über die Einstellung des Verfahrens zu stellen. In der Mitteilung ist über das Antragsrecht, die Frist für den Antrag und das zuständige Gericht zu belehren.

Ist die Entschädigungspflicht der Staatskasse rechtskräftig festgestellt, so ist der Anspruch auf Entschädigung gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 StrEG innerhalb von sechs Monaten bei derjenigen Staatsanwaltschaft geltend zu machen, die die Ermittlungen im ersten Rechtszug zuletzt geführt hat.

Über den Entschädigungsantrag entscheidet am Ende gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 StrEG die Landesjustizverwaltung.

Die Staatskasse leistet also keine Entschädigung von Amts wegen. Statt dessen geht für die beschuldigte Person nach einer Verfahrenseinstellung oder nach einem Freispruch die Arbeit weiter.

 

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