Zivilprozess als Parteiverfahren: Vorbereitung von Anfang an

Prozesse vermeiden, indem der Prozess sorgfältig vorbereitet wird: Wohl niemand steht gerne vor Gericht. Ein Rechtsanwalt wird regelmäßig zum Ziel haben, den Prozess zu vermeiden und für seine Mandantschaft eine außergerichtliche Lösung zu finden. Manchmal aber ist das Gerichtsverfahren unumgänglich, weil die Gegenseite nicht verhandlungsbereit ist oder inakzeptable Bedingungen stellt.

Deshalb ist es sinnvoll, sich bereits vor dem ersten Kontakt mit dem Rechtsanwalt mit einer ganz entscheidenden Frage zu befassen: Auf welcher Grundlage fällt das Gericht im Zivilprozess sein Urteil?

Zivilprozess als Parteiverfahren

Im Gegensatz zum Strafprozess, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, ist der Zivilprozess als reines „Parteiverfahren“ gestaltet.

„Parteiverfahren“ und „Parteimaxime“ bedeuten, dass das Gericht den maßgeblichen Sachverhalt nicht eigenständig und von Amts wegen ermittelt. Vielmehr legt das Gericht dem Urteil ausschließlich denjenigen Sachverhalt zugrunde, der sich aus dem prozessualen Vortrag der Parteien ergibt. Dieser Vortrag der Parteien steht zusätzlich unter dem Vorbehalt, dass er

  • den Prozessförmlichkeiten entspricht, insbesondere mit den erforderlichen Beweisangeboten versehen ist
  • und innerhalb der gesetzlichen oder durch richterliche Verfügung bestimmten Frist vollständig bei Gericht eingegangen ist.

Zwar dürfen die Parteien im Gerichtsverfahren nicht lügen: Gemäß § 138 Abs. 1 ZPO haben die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

Außerdem hat sich gemäß § 138 Abs. 2 ZPO jede Partei über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

Nicht alles muss aber bewiesen werden: Beweisbedürftig sind für das Gericht nur solche Tatsachen, über die die Parteien im Rahmen ihrer Erklärungen nach § 138 Abs. 2 ZPO uneinig geblieben sind, die zwischen den Parteien also streitig geblieben sind. Dies ergibt sich aus § 138 Abs. 3 ZPO: Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

Ungenügender oder verspäteter Vortrag ist damit regelmäßig so zu behandeln, als gebe es ihn nicht. Was nicht vorgetragen wird, wird behandelt, als existiere es nicht. Was nicht genügend bestritten wird, wird als feststehend und nicht weiter beweisbedürftig behandelt.

Man kann also sagen: Der Zivilprozess baut nicht auf dem ursprünglichen, echten, „real life“-Sachverhalt auf. Vielmehr liegt ihm ein von den Parteien unter Beachtung der Prozessförmlichkeiten für das Gericht rekonstruierter, gleichsam virtueller, Sachverhalt zugrunde.

Anwalt und Partei

Für den Rechtsanwalt bedeutet das: Er muss im Zivilprozess rechtzeitig insbesondere diejenigen Tatsachen vortragen, aus denen seine Mandantschaft eine günstige Rechtsfolge ableiten möchte – zum Beispiel, dass sie den eingeklagten Kaufpreis längst bezahlt hat. Was der Rechtsanwalt nicht weiß, kann er nicht vortragen. Da er – jedenfalls im Regelfall – persönlich nicht mit dabei war, kann er nur diejenigen Tatsachen kennen, über die ihn seine Mandantschaft informiert hat.

Die Mandantschaft muss ihren Rechtsanwalt damit rechtzeitig und vollständig informieren.

Eigene Vorbereitung der Mandantschaft

Das wiederum bedeutet: Die Mandantschaft muss sich selbst in den Sachverhalt einarbeiten und sich auf die Besprechungen mit dem Rechtsanwalt vorbereiten. Dazu ist nicht nur erforderlich, dass die Mandantschaft alle Dokumente – Vertragsurkunden, Briefe, Rechnungen, E-Mails – zusammensucht, die in dem Rechtsstreit eine Rolle spielen können. Regelmäßig spielt auch die genaue zeitliche Reihenfolge der einzelnen Ereignisse eine große Rolle:

  • Wer hat wann was getan?
  • Wer hat wann zu wem was gesagt?
  • Wer hat wann wem welche E-Mail, welchen Brief geschickt? Und wie kann erforderlichenfalls nachgewiesen werden, dass die E-Mail oder der Brief auch angekommen ist?

Hilfreich es deswegen, wenn sich die Mandantschaft die Chronologie der Ereignisse aufschreibt – zum Beispiel in einer Word- oder Excel-Datei, die ergänzt und korrigiert werden kann, oder auch nur mit Papier und Bleistift.

Häufig fällt im Verlauf der ersten oder zweiten Besprechung folgender Satz der Mandantschaft: „Ich habe Ihnen einfach einmal alles mitgebracht, was ich noch gefunden habe. Sie suchen sich dann schon aus, was Sie brauchen.“ Das reicht nicht: Die Mandantschaft muss sich selbst im Sachverhalt auskennen. Es ist deren Rechtsstreit, nicht der ihres Rechtsanwalts. Wenn sie keinen Überblick über den Sachverhalt hat, kann die Mandantschaft die Rückfragen ihres Anwaltes nicht beantworten.

Prozessvermeidung durch Prozessvorbereitung

Je sorgfältiger die Mandantschaft selbst den Sachverhalt aufbereitet, je genauer und vollständiger kann sie ihren Rechtsanwalt informieren, und je größer sind am Ende ihre Erfolgsaussichten im Prozess. Auf diese Weise gelingt es in vielen Fällen, die Gegnerpartei außergerichtlich davon zu überzeugen, dass deren Erfolgsaussichten fraglich sind, und gelingt es damit, den Prozess zu vermeiden.

Es ist wie beim Hausbau: Wenn das Fundament nicht trägt, hilft der schönste Dachstuhl nicht weiter.

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