Urteil: Videoüberwachung in Apotheke und Datenschutzrecht

Videoüberwachung in einer Apotheke und das Datenschutzrecht – das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Saarlandes in Saarlouis entschied mit Urteil vom 14.12.2017, Az. 2 A 662/17: Die Videoüberwachung des Verkaufsraums einer Apotheke kann zur Wahrnehmung des Hausrechts (§ 6b Abs. 1 Nr. 2 BDSG) und zur Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG erforderlich sein. Die Anforderungen an die Einwilligungserklärung nach § 4a Abs. 1 BDSG sind im Einzelfall abhängig von der Sensibilität der erhobenen Daten und der Eingriffstiefe in die Rechte der Betroffenen.

Videoüberwachung in der Apotheke – was war geschehen?

Die Prozessparteien stritten um die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Videoüberwachung im Verkaufsraum einer Apotheke. Der Kläger ist Eigentümer und Betreiber der Apotheke. Beklagt war die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit des Saarlandes, Unabhängiges Datenschutzzentrum Saarland, als datenschutzrechtliche Aufsichtsbehörde.

Im Rahmen einer Eingabe wurde der Aufsichtsbehörde mitgeteilt, dass in den Verkaufsräumen der Apotheke drei Videoüberwachungskameras und in den nicht öffentlich zugänglichen Bereichen mindestens zwei weitere Videoüberwachungskameras installiert seien.

Nach einer Vorortkontrolle der Apotheke und weiteren Anhörungen des Klägers erließ die Aufsichtsbehörde einen Bescheid, wonach die Videoüberwachung im Verkaufsraum der Apotheke und am Betäubungsmittelschrank während der Öffnungszeiten einzustellen war. Der Apotheker und spätere Kläger hingegen berief sich darauf, die Videoüberwachung sei unter anderem deswegen erforderlich, weil ihm Medikamente in erheblicher verschreibungspflichtige Menge abhandenkommen würden. Als Täter kämen nur Kunden oder Personal in Betracht.

Gegen die Anordnung der Aufsichtsbehörde erhob der Apothekenbetreiber Klage zum Verwaltungsgericht des Saarlandes.

Während des gerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht änderte der Kläger den Erfassungsbereich der drei Überwachungskameras im Verkaufsraum. Diese Kameras erfassten nun lediglich den Freiwahlbereich und die Eingangstüren, aber nicht mehr die Medikamentenabgabe am Tresen. Außerdem legte der Kläger jeweils eine von 18 Mitarbeitern eigenhändig unterschriebene „Einwilligungserklärung zum Betrieb der vorhandenen Videoanlage“ vor mit folgende, Wortlaut:

„Wir, die Unterzeichner, sind Mitarbeiter der (Name der Apotheke), Inhaber (Fima des Klägers) e.K., (Straße), (Ort), und hatten in der Vergangenheit bereits unser Einverständnis zur Aufstellung und Nutzung der 5 Überwachungskameras erteilt.

Über den Streitstand mit der Datenschutzbehörde sind wir informiert.

Der gegenwärtige Standort der Kameras und deren Ausrichtung in Festposition sind uns ebenso bekannt, wie die von diesen gefertigten Bildschirmbildern und die Gründe für die Kameraaufstellung.

Wir sind sowohl mit der Aufstellung der Kameras als auch mit der davon ausgehenden Bildschirmaufnahme und kurzfristigen Speicherung einverstanden.“

Mit Urteil vom 29.01.2016, Az. 1 K 1122/14 hob das Verwaltungsgericht des Saarlandes die Anordnung der Beklagten auf, soweit sie die Videoüberwachung an dem Betäubungsmittelschrank betraf. Im Übrigen, also im Hinblick auf die Videoüberwachung im Verkaufsraum, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.

Beide Parteien legten gegen dieses Urteil Berufung ein, soweit sie im Prozess unterlegen waren.

Wie entschied das OVG Saarlouis über die Videoüberwachung?

Die Berufung des Klägers war erfolgreich. Die Berufung der Beklagten wies das OVG Saarlouis als unbegründet zurück.

Die vom Kläger durchgeführte Videoüberwachung sei für die Wahrnehmung des Hausrechts und seiner (sonstigen) berechtigten Interessen erforderlich:

„Entsprechend dem allgemeinen Begriffsverständnis der Erforderlichkeit setzt dies voraus, dass die Videoüberwachung für den jeweiligen Zweck geeignet ist und kein milderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem der Zweck ebenso wirksam erreicht werden kann. Es ist allerdings nicht notwendig, die am besten geeignete Alternative zu identifizieren. Von einer Geeignetheit ist bereits dann auszugehen, wenn die Erreichung des maßgeblichen Zwecks sinnvoll gefördert wird.(OVG NRW, Urteil vom 8.5. 2009 – 16 A 3375/07 –, juris) Hierzu ist eine Videobeobachtung des Verkaufsraums der Apotheke in der Lage, weil sie potenzielle Täter von der Begehung von Diebstählen abschreckt. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Taten begangen werden, umso geringer ist, je höher das Risiko ist, entdeckt und zur Verantwortung gezogen zu werden. Dieses Risiko ist aber nach der Installation von Videokameras aus Sicht von potentiellen Tätern größer geworden, denn sie können nicht wissen, wann sie von der Kamera erfasst werden und nicht ausschließen, bei der Begehung eventueller Verstöße von einem Mitarbeiter des Klägers am Bildschirm beobachtet zu werden.“

Der Einsatz eines Sicherheitsdienstes sei keine geeignete Alternative:

„Mildere, gleich wirksame Mittel zur Zweckerreichung sind nicht erkennbar. Der Einsatz von Wachpersonal stellt keine Alternative dar, weil die dadurch entstehenden Kosten für den Kläger wirtschaftlich nicht zumutbar sind.“

Die Überwachung könne auch nicht Aufgabe der Mitarbeiter des Apothekers sein:

„Die Überwachung des Verkaufsraumes durch eigene Mitarbeiter des Klägers stellt keine gleich geeignete Maßnahme dar, da diese – wovon sich das Gericht bei der Ortsbesichtigung überzeugen konnte – überwiegend mit der Beratung und Bedienung der Kunden beschäftigt und nicht in der Lage sind, den Verkaufsraum und die sich dort aufhaltenden Personen permanent zu beobachten. Bei der Ortsbesichtigung, die an einem Vormittag stattfand, bestand im Verkaufsraum zeitweise ein großer Kundenandrang, bei dem der Verkaufsraum aus der Perspektive der sich hinter dem Tresen aufhaltenden Angestellten nicht mehr überblickt werden konnte.“

Die Videoüberwachung am Betäubungsmittelschrank sei nach § 32 Abs. 1 S. 1 BDSG zulässig. Der von dem Kläger verfolgte Überwachungszweck sei ein Fall der Durchführung von Beschäftigungsverhältnissen. Er halte es zumindest für denkbar, dass der Verlust von Waren auf strafbares Verhalten eines oder mehrerer Beschäftigter zurückzuführen sei.

Die Videoüberwachung am Betäubungsmittelschrank sei erforderlich:

„Ein im Vergleich zur Videoüberwachung gleich wirksames milderes Mittel ist nicht ersichtlich und entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes im angefochtenen Urteil und des Beklagten insbesondere nicht darin zu sehen, dass der Betäubungsmittelschrank nach jeder Benutzung verschlossen und der Zugang zu den Betäubungsmitteln auf wenige Mitarbeiter beschränkt wird. Den Angaben des Klägers bei der Ortsbesichtigung zufolge dürfen die beiden ‚Tresore‘ inzwischen ohnehin nur noch von den Apothekerinnen und Apothekern geöffnet werden. Auch wenn, worauf die Vertreterin des Beklagten hingewiesen hat, über die Entnahme Aufzeichnungen (Listen) geführt würden, wäre ein Zugriff auf die Betäubungsmittel durch (ausgewählte) Beschäftigte des Klägers notwendig. Darüber hinaus könnte nicht sichergestellt werden, dass tatsächlich auch in jedem Einzelfall einer Entnahme dokumentiert wird, zumal dieser Vorgang einen gewissen Aufwand erfordert und unter Umständen in der Hektik des Alltagsgeschäfts vernachlässigt werden könnte.“

Die Videoüberwachung am Betäubungsmittelschrank sei auch verhältnismäßig:

„Diese Prüfung läuft im Anwendungsbereich des Arbeitnehmerdatenschutzes auf eine Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitgebers, Gefahren für seinen Betrieb – ggf. auch durch ‚Abschreckung‘ – zu vermeiden bzw. eventuelle Täter zu erkennen und dem Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers, der sich dem Überwachungsdruck ausgesetzt sieht, hinaus.(Gola, Datenschutz bei der Kontrolle „mobiler“ Arbeitnehmer – Zulässigkeit und Transparenz, NZA 2007, 1139, 1140) Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist auch zu berücksichtigen, dass außer dem Recht der Beschäftigten des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung und Schutz ihrer personenbezogenen Daten sowie dessen Eigentumsgarantie ein öffentliches Interesse daran besteht, dass die in dem Schrank verwahrten und gemäß § 3 Abs. 1 BtMG erlaubnispflichtigen Betäubungsmittel nicht unkontrolliert in Verkehr geraten oder sonst ein leichtfertiger Umgang mit ihnen stattfindet.“

Auch die einzelnen datenschutzrechtlichen Einwilligungen der Mitarbeiter des Klägers würden unter formellen und inhaltlichen Gesichtspunkten die Anforderungen des § 4a Abs. 1 Satz 2 und 3 BDSG erfüllen:

„Der Grad der Anforderungen an die Bestimmtheit und Vollständigkeit der Erklärung ist dabei im Einzelfall abhängig von der Sensibilität der erhobenen Daten und der Eingriffstiefe in die Rechte der Betroffenen. Daran gemessen begegnet der Text der von den Mitarbeitern des Klägers jeweils abgegebenen schriftlichen Erklärungen […] keinen durchgreifenden Bedenken, denn dabei handelt es sich um eine aus einem konkreten Anlass im Einzelfall von jedem Mitarbeiter des Klägers eingeholten Einwilligung, die hinreichend bestimmt ist und erkennen lässt, dass diese über den Grund, die Art und die Tragweite der Überwachungsmaßnahme informiert sind. Außerdem wird zum Ausdruck gebracht, dass Standort und Ausrichtung der Überwachungskameras bekannt ist und Einverständnis mit der kurzfristigen Speicherung der Bildschirmaufnahme besteht.“

Auch ein fehlender Hinweis in der Einwilligungserklärung auf die Folgen einer verweigerten Einwilligung sei unschädlich:

„Soweit der Beklagte beanstandet, dass die Einwilligungserklärung keinen Hinweis auf die Folgen der Verweigerung enthält, ist dem entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber die Belehrung darüber als Ausnahmefall ansieht (vgl. § 4a Abs. 1 Satz 2 BDSG). Der Hinweis muss nur erfolgen, wenn er nach den Umständen des Einzelfalls geboten ist oder vom Einwilligenden verlangt wird.(Kramer in Auernhammer, [DSGVO/BDSG, Kommentar, 5. Aufl. 2017; d. Verf.], § 4a Rdnr. 23)“

Schließlich bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass nicht alle Mitarbeiter eine Einwilligungserklärung abgegeben hätten.

Welche Auswirkung hat die Entscheidung auf die Praxis?

Neben dem Zweckbindungsgrundsatz spielt im Datenschutzrecht der Erforderlichkeitsgrundsatz eine entscheidende Rolle: Durch die Datenerhebung und Datenverarbeitung darf in den Persönlichkeitsbereich der Betroffenen nur insoweit eingegriffen werden, als dies unerlässlich ist, um den rechtmäßige Zweck der Datenverarbeitung zu erreichen. An diesem Erforderlichkeitsgrundsatz wird sich auch nach dem 25.02.2018 nichts ändern, wenn die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt: Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO müssen „personenbezogene Daten dem Zweck angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein“.

Das bedeutet zugleich: Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Schubladendenken und die Suche nach Standardfällen und „Schema F“ helfen im Datenschutzrecht nicht weiter.

Das ausführlich begründete Urteil des OVG Saarlouis zählt eine ganze Reihe von Gesichtspunkten auf, die bei der Videoüberwachung in Geschäftsräumen – nicht nur in Apotheken – eine Rolle spielen können. Hier war der begründete Verdacht, dass es immer wieder zum Diebstahl von Medikamenten gekommen ist, entscheidend.

Die vorangegangene Auseinandersetzung vor dem Gang zu Gericht beschreibt das Unabhängige Datenschutzzentrum Saarland in seinem 25. Tätigkeitsbericht unter 19.8 auf den Seiten 120 bis 123.

 

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