EuGH: Aufruf einer Internetseite keine Urheberrechtsverletzung

Wer eine Internetseite nur auf dem Bildschirm anschaut, ohne sie auszudrucken oder herunterzuladen, verstößt nicht gegen Urheberrecht – der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied mit Urteil vom 05.06.2014, Az. C-360/13: Die von einem Endnutzer bei der Betrachtung einer Internetseite erstellten Kopien auf dem Bildschirm seines Computers und im „Cache“ der Festplatte dieses Computers können ohne die Zustimmung der Urheberrechtsinhaber erstellt werden. 

Was war geschehen?

Ausgangsverfahren war ein Rechtsstreit vor dem Supreme Court des Vereinigten Königreichs zwischen der Public Relations Consultants Association Ltd (PRCA) und der Newspaper Licensing Agency Ltd (NLA).

Die PRCA ist eine Organisation von Berufstätigen aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit. Diese nahmen einen von der Unternehmensgruppe Meltwater angebotenen Medienbeobachtungsdienst in Anspruch. Dieser Medienbeobachtungsdienst stellt online Berichte über die Beobachtung von Presseartikeln, die im Internet veröffentlicht werden, zur Verfügung stellt. Diese Berichte wiederum werden anhand von Schlüsselwörtern erstellt, die die Kunden liefern.

Die NLA ist eine Einrichtung, die von den Zeitungsverlegern des Vereinigten Königreichs zu dem Zweck gegründet wurde, kollektive Lizenzen in Bezug auf den Inhalt von Zeitungen zu erteilen.

Die NLA war der Ansicht, dass Meltwater und deren Kunden eine Zustimmung der Urheberrechtsinhaber für die Erbringung bzw. die Inanspruchnahme des Medienbeobachtungsdienstes einzuholen hätten. Meltwater war lediglich bereit, eine Grundlizenz für Internetdaten zu erwerben. PRCA hielt jedoch an ihrer Ansicht fest, dass der Online-Empfang der Beobachtungsberichte durch die Kunden von Meltwater keine Lizenz erfordere.

PRCA brachte unter anderem vor, die Mitglieder des Verbands würden die Presse-Artikel ausschließlich auf der Meltwater-Website betrachten. Die Mitglieder würden die Artikel also nicht herunterladen oder ausdrucken. Die NLA vertrat dagegen die Auffassung, dass Kopien auf dem Computerbildschirm des Nutzers und Kopien im Cache der Festplatte erstellt würden. Diese Kopien seien Vervielfältigungen im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/29 (Urheberrechtsrichtlinie), die nicht von der in Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahme erfasst würden.

Der Supreme Court legte die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Worum geht es im einzelnen technisch und rechtlich?

Betrachtet man eine Internetseite auf dem Bildschirm, findet notwendigerweise eine Zwischenspeicherung zumindest im Cache der Festplatte statt.

Streitig war nun, ob alleine bereits diese Zwischenspeicherung eine genehmigungsbedürftige Vervielfältigungshandlung darstellt. Nach Art. 5 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie wird keine Erlaubnis des Rechteinhabers benötigt, wenn die Vervielfältigungshandlungen

  • vorübergehend sind,
  • flüchtig oder begleitend sind,
  • einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen,
  • ihr alleiniger Zweck es ist, eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder eine rechtmäßige Nutzung zu ermöglichen
  • und die Vervielfältigungshandlungen keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.

Die letzten beiden Voraussetzungen hatte bereits der Supreme Court bejaht. Der EuGH musste nur noch mit den ersten drei Voraussetzungen der Ausnahmeregelung entscheiden.

Wie entschied der EuGH?

Der EuGH entschied die Vorlagefrage zugunsten der PRCA.

Bildschirmkopien würden gelöscht, sobald der Internetnutzer die aufgerufene Internetseite verlasse. Cache-Kopien würden gewöhnlich automatisch nach einer gewissen Zeit, abhängig von der Kapazität sowie vom Volumen und der Häufigkeit der Internetnutzung des betreffenden Internetnutzers, durch andere Inhalte ersetzt. Somit hätten diese Kopien vorläufigen Charakter.
Die Bildschirm- und Cachekopien seien als wesentlicher Teil des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden technischen Verfahrens zu betrachten.

Aus den Akten gehe hervor, dass die Internetnutzer, die das im Ausgangsverfahren in Rede stehende technische Verfahren benutzten, die Cachekopien nicht außerhalb dieses Verfahrens erstellen könnten. Daraus folge, dass die Cachekopien gegenüber dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden technischen Verfahren weder eigenständig seien noch einem eigenständigen Zweck dienten und daher als „begleitend“ einzustufen seien.

Um jedoch unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 1 zu fallen, müssten diese Handlungen außerdem die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 erfüllen, wonach eine vorübergehende Vervielfältigungshandlung nur in bestimmten Sonderfällen vom Vervielfältigungsrecht ausgenommen ist, in denen die normale Verwertung des Werks nicht beeinträchtigt und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden. Die berechtigten Interessen der betroffenen Urheberrechtsinhaber seien gebührend gewahrt. Die Herausgeber der Internetseiten, auf denen die Werke zugänglich gemacht würden, müssten nämlich ihrerseits nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 die Zustimmung der betreffenden Urheberrechtsinhaber einholen, da diese Zugänglichmachung eine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieses Artikels darstelle.

Welche Auswirkung hat das Urteil auf die Praxis – Stichwort Streaming?

In dem Verfahren, das der EuGH nun entschied, ging es um Presseartikel, nicht um Filme. Ist mit dem Urteil des EuGH nun zugleich die Frage geklärt, ob auch Streaming legal ist? Erinnern wir uns zurück: Im Dezember 2013 sorgte die Redtube-Abmahnung der Regensburger Kanzlei U+C für Furore. Diese Abmahnwelle verlief, wie es den Anschein hat, im Sande. Wie sieht es aber nun beispielsweise mit YouTube-Videos aus oder mit Filmen oder auch Audio-Dateien, die über andere Videoplattformen angeboten werden?

Die Frage ist nach dem Urteil vom 05.06.2014 noch nicht restlos geklärt. Rein technisch gesehen dürfte sich beim Streaming ohne weiteres um eine flüchtige Vervielfältigung handeln, die die Voraussetzung des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie erfüllt. Entscheidend dürfte dann der Hinweis des EuHG auf Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie sein, wonach die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden dürfen. Diese Voraussetzung ist wohl beim Streaming eines aktuellen Kinofilms, der illegal auf einem Filmportal zur Verfügung steht, nicht zwingend erfüllt sein. So wird es am Ende darauf ankommen, ob und unter welchen Umständen der User erkennen kann, ob es sich um eine legal oder eine illegal veröffentlichte Videodatei handelt. Hier bleibt zunächst abzuwarten, wie die Gerichte diese Frage zukünftig beantworten werden.