AG Kassel: Dashcam-Aufnahme als Beweismittel nach Verkehrsunfall

Unfallprozess und Beweisführung per Dashcam-Videoaufnahme – das Amtsgericht Kassel entschied mit Urteil vom 12.06.2017, Az. 432 C 3602/14: Ein Verstoß gegen § 6b BDSG begründet nicht zwangsläufig ein zivilprozessrechtliches Beweisverwertungsverbot. Im Einzelfall ist eine Güterabwägung vorzunehmen.

Dashcam im Unfallprozess – was war geschehen?

Die Parteien stritten vor Gericht um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger bot seine Ehefrau als Zeugin auf. Der beklagte Fahrer befand sich alleine im Auto. Weitere eigene Zeugen standen ihm nicht zur Verfügung.In seinem Auto hatte der Beklagte allerdings eine Dashcam installiert, die die Kollision aufzeichnete.

Wie entschied das Amtsgericht Kassel zur Dashcam-Aufnahme als Beweismittel?

Das Amtsgericht Kassel ließ die Videoaufnahme als Beweismittel zu. Hierauf gestützt wies es die Klage ab.

Die Dashcam-Videoaufnahme sei als Beweismittel analog § 371 ZPO verwertbar:

„Die Videoaufnahme ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 22 Kunsturhebergesetz unverwertbar. § 22 KunstUrhG schützt das Bildnis von Menschen. Auf dem Video sind Menschen nicht erkennbar. Das Video zeigt lediglich eine Fahrbahn, darauf fahrende Fahrzeuge und deren Kennzeichen.

Die Videoaufnahme ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 6b BDSG unverwertbar. Zwar ist zutreffend, dass § 6b BDSG grundsätzlich jegliche Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen, hiervon ist eine Videokamera ohne Weiteres erfasst, untersagt. Ein Verstoß gegen § 6b BDSG begründet jedoch nicht zwangsläufig ein zivilprozessrechtliches Beweisverwertungsverbot. Es ist vielmehr im Einzelfall eine Abwägung zwischen den relevanten Interessen vorzunehmen, namentlich den Interessen des Datenschutzes, insbesondere des Persönlichkeitsrechtes möglich betroffener Dritter, dem Beweisinteresse desjenigen, der das Beweismittel in den Prozess einführen möchte, sowie dem grundsätzlichen rechtsstaatlichen Interesse an der Durchsetzung materiellen Rechts und materieller Gerechtigkeit.“

Im Rahmen seiner Güterabwägung ging das Gericht zunächst der Frage nach, was auf der Videoaufnahme zu sehen war:

„Vorliegend sind schutzwürdige Interessen Dritter, insbesondere anderer Verkehrsbeteiligter oder der Zeugin Y selbst kaum betroffen. Auf der Videoaufzeichnung sind lediglich Fahrzeuge und Kennzeichen, keine Personen oder gar Gesichter erkennbar. Auch erfasst die Kamera nur einen sehr begrenzten Verkehrsbereich über den begrenzten Zeitraum von knapp 2 Minuten.“

Dann ging das Gericht der Frage nach, zu welchem Ergebnis der Prozess gelangen würde, wen nder Dashcam-Aufnahme ein Beweisverwertungsverbot entgegen stehen würde:

„Demgegenüber steht das Beweisinteresse des Beklagten zu 1.), der, da er sich allein im Auto befand, anders kaum eine Möglichkeit hätte, etwaige Unfallereignisse beweisrechtlich zu dokumentieren. Mit Blick auf das rechtsstaatliche Interesse an der Durchsetzung des materiellen Rechts erscheint es dabei kaum erträglich, dass allein aufgrund der Unverwertbarkeit des angebotenen Videobeweises, ein monetärer Anspruch dem Kläger zugesprochen werden soll, welcher nach tatsächlicher Faktenlage nicht besteht.“

Welche Auswirkung hat das Urteil auf die Praxis?

Weiterhin ist die Frage umstritten, ob eine Dashcam-Aufnahme im Zivilprozess als Beweismittel herangezogen werden kann oder ob ihr ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht.

Das Beweisverwertungsverbot wird damit begründet, die Dashcam-Aufnahme sei unter Verstoß gegen das Datenschutzrecht entstanden, weil die Voraussetzungen des § 6b BDSG nicht erüllt seien.

§ 6b BDSG regelt seinem Wortlaut nach die Videoüberwachung – also nicht jede Art von Videoaufnahme: Die – im weitesten Sinne – künstlerische, also dem Urheberrecht unterfallende, Videoaufnahme wird vom Wortlaut des § 6b BDSG nicht mit erfasst. Hier stellt sich die Frage, wo für die Rechtsanwendung die Grenze zwischen Überwachung und Dokumentation zu ziehen ist: Ist die Dashcam-Aufnahme aus dem Auto heraus, ist die Helm-Aufnahme eines Motorradfahrers, nur eine filmische Dokumentation der Fahrt? Oder ist sie bereits Videoüberwachung im Sinne des Datenschutzrechtes?

Innerhalb einiger ganz weniger Jahre sind Filmkameras von der teuren Spezialausrüstung zum billigen Allerwelts-Gegenstand geworden. Die permanente Dokumentation des eigenen Lebens auf Film war früher kaum vorstellbar – heute stellt sie keine besonderen Anforderungen mehr dar. Das Recht hat diese rasante Veränderung der sozialen Realität noch nicht vollständig umgesetzt.

 

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