10-jährige Verjährung bei Filesharing nach BGH-Urteil?

„BGH urteilt: 10-jährige Verjährungsfrist bei Urheberrechtsverletzungen! 10-jährige Verjährung auch bei Filesharing!“ Solche oder so ähnliche Schlagzeilen machen die Runde, seit der Bundesgerichtshof sein Urteil vom 15.01.2015 „Motorradteile“, Az. I ZR 148/13, veröffentlichte. Tatsächlich? Es lohnt sich, die Urteilsbegründung einmal näher anzusehen.

Worum geht es?

In dem Verfahren ging es unter anderem um Schadensersatzansprüche nach Lizenzanalogie. Der Beklagte hatte in den Jahren 2006, 2007 und 2008 auf seiner Website Fotos veröffentlicht, ohne die erforderliche Zustimmung des Fotografen eingeholt zu haben. Im Schadensersatzprozess verteidigte sich der Beklagte unter anderem damit, die Ansprüche seien verjährt, da die regelmäßige 3-jährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB gelte.

Wie entschied der BGH zur Verjährung im Urheberrecht?

Obwohl die 3-Jahres-Frist bereits abgelaufen war, verurteilte der BGH den Beklagten, für die unberechtigte Verwendung der Fotos Schadensersatz nach Lizenzanalogie zu zahlen. Der Beklagte, so der BGH, könne sich nicht auf die 3-jährige Verjährung berufen. Vielmehr gelte die 10-jährige Verjährung nach § 102 S. 2 UrhG, § 852 BGB.

Der Leitsatz des BGH hierzu lautet:

„Mit dem Restschadensersatzanspruch aus § 102 Satz 2 UrhG, § 852 BGB kann die Herausgabe des durch die Verletzung eines Urheberrechts erlangten Gebrauchsvorteils im Wege der Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr verlangt werden.“

10-jährige Verjährung also auch bei Filesharing?

Morgenröte im Lande der Filesharing-Abmahner und ihrer Inkassounternehmen? In Vergessenheit geratene Filesharing-Abmahnungen als tickende Zeitbomben?

Betrachtet man die rechtlichen Erwägungen des BGH in seinem Urteil „Motorradteile“ zur Verjährung im Urheberrecht einmal näher, so ist – aus der Sicht der Abmahnungsempfänger – wohl noch nicht alle Hoffnung dahin. Die Erwägungen des BGH dürften sich nämlich nicht ohne weiteres übertragen lassen auf diejenigen Sachverhalte, die jedenfalls bislang regelmäßig Gegenstand der Filesharing-Abmahnungen und nachfolgender Schadensersatzprozesse waren.

_ Gebrauchsvorteil als Voraussetzung für 10-jährige Verjährung

Der BGH zunächst in Absatz 29 seiner Urteilsbegründung:

„Die Verweisung in § 852 BGB auf die Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung bezieht sich nicht auf die Voraussetzungen, sondern auf den Umfang der Bereicherungshaftung. Bei § 852 BGB handelt es sich nicht um einen Bereicherungsanspruch, sondern um einen sogenannten Restschadensersatzanspruch, also einen Anspruch aus unerlaubter Handlung, der in Höhe der Bereicherung nicht verjährt ist (vgl. zu § 852 Abs. 3 BGB aF BGHZ 71, 86, 98 f. – Fahrradgepäckträger II; BGH, GRUR 1999, 751, 754 – Güllepumpen).“

Und am Ende des folgenden Absatzes 30:

„Demnach gilt im gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht allgemein der Grundsatz, dass das durch eine Schutzrechtsverletzung oder einen Wettbewerbsverstoß Erlangte auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs aus unerlaubter Handlung als ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben ist (vgl. auch Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6040, S. 270).“

Schließlich in Absatz 34 der Urteilsbegründung:

„Der Anspruch aus § 852 BGB setzt entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung jedenfalls nicht voraus, dass der Verletzer einen Gewinn erzielt hat. Vielmehr genügt es, dass er einen Vermögensvorteil in Gestalt eines Gebrauchsvorteils erlangt hat. Mit dem Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB kann daher die Herausgabe des durch die Verletzung eines Schutzrechts erlangten Gebrauchsvorteils im Wege der Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr verlangt werden.“

Entscheidend für die Frage, ob die verlängerte 10-jährige Verjährungsfrist anstelle der regelmäßigen 3-jährigen Verjährungsfrist gilt, ist also, ob der Schuldner aus seinem Verstoß gegen das Urheberrecht einen Gebrauchsvorteil erlangt hat. Nicht der Verstoß gegen das Urheberrecht als solcher zieht die 10-jährige Verjährung nach sich, sondern erst – als zusätzliche Voraussetzung – der Gebrauchsvorteil als Folge dieses Rechtsverstoßes.

_ Abweichende Sachverhalte bei Fotorecht und Filesharing

Genau hier dürfte der Sachverhalt, der dem BGH-Urteil „Motorradteile“ zugrunde liegt, von dem typischen Filesharing-Sachverhalt abweichen:

Im Fall „Motorradteile“ ging es um Foto-Dateien, die der Beklagte ohne die erforderliche Zustimmung auf seinen Server kopiert und auf diese Weise dann auf seiner Website veröffentlicht hatte. Genau diese Form der Vervielfältigung und öffentlichen Zugänglichmachung der Bilddateien war Zweck der Handlung. Der Beklagte wollte die Bilddateien nicht nur auf seiner privaten Festplatte speichern, um sie dort ansehen zu können. Für diese zweckgerichtete Form der Vervielfältigung und der öffentlichen Zugänglichmachung können Website-Betreiber von Fotografen und Bildagenturen Fotolizenzen erwerben – und müssen hierfür eine Lizenzgebühr bezahlen.

Wer sich Fotos für seine Website illegal beschafft, steht also in gewisser Hinsicht in Konkurrenz mit solchen Website-Betreibern, die für eine Bildlizenz bezahlen.

Das gleiche gilt für die öffentliche Wiedergabe von Musik beispielsweise in der Gastronomie oder bei öffentlichen Veranstaltungen: Hier kann der Gastronom, der Veranstalter, der Standbetreiber von der GEMA die erforderliche Lizenz erwerben. Über einen derartigen Sachverhalt hatte der BGH in seinem Urteil „Bochumer Weihnachtsmarkt“ vom 27.10.2011, Az. I ZR 175/10, zu entscheiden.

Bei Filesharing statt dessen liegen die Dinge anders:

Die Rechteinhaber vergeben jedenfalls im Regelfall gerade keine Lizenzen für die Verbreitung ihrer Musik, ihrer Filme, ihrer Software über Filesharing-Netzwerke. Der Abmahnungsempfänger, die beklagte Partei in einem Filesharing-Schadensersatzprozess, erspart sich keine Lizenzgebühren, nur weil ein Filesharing-Client im Hintergrund Dateien, die heruntergeladen werden oder sich bereits im freigegebene Ordner befinden, anderen Teilnehmern zur Verfügung stellt, auf diese Weise also öffentlich zugänglich macht. Der Abmahnungsempfänger steht im Filesharing-Netzwerk nicht in Konkurrenz zu anderen Anbietern, die eine Filesharing-Lizenz erworben und hierfür bezahlt hatten.

Der Upload im Hintergrund, nach dem Urheberrecht also die öffentliche Zugänglichmachung, bildet regelmäßig den Vorwurf der Filesharing-Abmahnung und bildet später den Streitgegenstand im Filesharing-Schadensersatzprozess.

In diesem Upload liegt wie dargelegt kein Gebrauchsvorteil. Der liegt allenfalls im Download der Datei, die der Filesharing-Teilnehmer nicht im Laden kaufen will. Der Download aber ist im Regelfall aber nicht Gegenstand des rechtlichen Vorwurfs und später auch nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens.

Ergebnis: Das BGH-Urteil „Motorradteile“ dürfte bei genauer Betrachtung auf viele der bisher abgemahnten Filesharing-Fälle nicht anwendbar sein. Es lohnt sich, einmal zunächst vertieft die einzelnen technischen Vorgänge zu analysieren und diese dann durch die Brille des Zivilrechts und des Zivilprozessrechts zu betrachten. Die 3-jährige Regelverjährung ist noch nicht vom Tisch.

 

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